Klimagerechte Stadtentwicklung

Netzwerk für urbane Zukunft

„Cities Fit for Climate Change“ ist ein globales Projekt für integrierte Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels. Anlässlich der UN-Klimakonferenz in Kattowitz (kurz COP 24), präsentiert akzente drei Stimmen aus Chile, Indien und Südafrika. 

Text
Brigitte Spitz

Vidhya Mohankumar (38) Architektin und Stadtplanerin aus Chennai, Indien

Vidhya Mohankumar (Foto: privat)
Vidhya Mohankumar (Foto: privat)

„Wir müssen in großen Dimensionen denken und schnell handeln. Für kleine Schritte ist es längst zu spät.“

„Ich lebe in Chennai, einer Stadt im globalen Süden, die sehr anfällig für den Klimawandel ist. Mein gesamtes Arbeitsleben habe ich mich mit dem Thema nachhaltigen Stadtgestaltung beschäftigt. Doch als Ende 2015 meine südindische Heimatstadt von einer schweren Flut getroffen wurde, war das der Augenblick, in dem ich spürte: Jetzt hat es uns wirklich erreicht. Ich wusste, die Klimaveränderung und die planlose Urbanisierung müssen gestoppt werden und ich muss noch lauter darüber sprechen. Dazu gehört auch die Mitarbeit bei ,Cities Fit for Climate Change‘. Es ist toll, bei einer Plattform mitzumachen, die ein weltweites Netzwerk bietet. In den vergangenen Monaten habe ich mit vielen Leuten gesprochen, die Klimaveränderungen Tag für Tag erleben. Und von neuen Ideen erfahren, wie wir uns in den Städten besser vorbereiten können, um die Folgen von Katastrophen abzumildern. Von dem Austausch bin ich begeistert und gebe die Informationen gern weiter. Ich unterrichte an verschiedenen Universitäten und spreche mit Studentinnen und Studenten über die Klimaveränderungen, über nachhaltige Entwicklung und Stadtplanung. Jüngst haben wir vom ,Urban Design Collective‘ außerdem angefangen, Oberstufenschülerinnen und -schülern zum Thema Klimawandel zu unterrichten. Angesichts der Zahl von Überflutungen und Wirbelstürmen, die wir hier in der Region erleben, wissen die Jungen und Mädchen, wovon wir sprechen. Sie kennen die Zerstörungen und die psychischen Traumata nach solchen Katastrophen. Wir erklären ihnen die Gründe für die Desaster, und dass mehr dagegen getan werden muss. Zur UN-Klimakonferenz möchte ich sagen: Wir alle müssen in großen Dimensionen denken und schnell handeln. Für kleine Schritte ist es längst zu spät.“

Die Architektin und Stadtdesignerin Vidhya Mohankumar (38) ist Gründerin des Bündnisses „Urban Design Collective“, das mit dem Projekt „Cities Fit for Climate Change“ zusammenarbeitet. Im August 2018 war sie in ihrer Heimatstadt Chennai eine der Hauptakteur*innen des Dialogforums, bei dem sich Vertreter*innen der drei Partnerstädte Chennai, Durban und Santiago de Chile sowie von europäischen Städten trafen.


Evelyn Matthei (65), Politikerin aus Santiago de Chile, Chile

Evelyn Matthei (Foto: dpa)
Evelyn Matthei (Foto: dpa)

„Wir haben keine Zeit zu verlieren!“

„Klimawandel ist eine echte Bedrohung. Ich sorge mich vor allem um die jüngere Generation oder Bewohner*innen von Küstendörfern. Der Klimawandel beeinflusst die Lebensqualität der Menschen, das sehen wir auch in unserer Gemeinde Providencia. Wir erleben Hitzewellen zu ungewöhnlichen Jahreszeiten. Wir haben Hitzeinseln in der Stadt, weil auf öffentlichen Plätzen zu viel Boden versiegelt ist und Wald wegen Wassermangels abstirbt. Als ich Bürgermeisterin wurde, sah ich die Möglichkeit, mehr für den Klimaschutz zu tun. Glücklicherweise gibt es in unserer Kommune brillante und engagierte Fachleute, die diese Angelegenheit sehr ernst genommen und konkrete Pläne entwickelt haben. Die Temperatur steigt auch aufgrund der Art und Weise, wie wir Städte bauen. Wir arbeiten daran, dies zu verändern. Wir konzentrieren uns darauf, die klimafreundliche Strategie auch finanziell abzusichern, wir arbeiten in den Bereichen Infrastruktur, Mobilität, Abfallwirtschaft, Energiemanagement und strategische Planung. Hier war die Kooperation mit dem ,Cities Fit for Climate Change‘-Projekt sehr wichtig. Wir haben neue Perspektiven, aber auch ganz konkrete Hinweise erlangt. Etwa wie man sichere Radwege plant und konstruiert. Darum geht es: Nach der Planung auch etwas zu verwirklichen. Das ist mein Appell an die UN-Klimakonferenz: Es ist wichtig, fachliche Berater einzubeziehen, um die Umsetzung der Programme sicherzustellen. Politische Verpflichtungen reichen nicht aus, wir müssen die Vereinbarungen umsetzen. Das Wichtigste ist, jetzt etwas zu tun, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Die Politikerin Evelyn Matthei (65) war bis Juli 2013 Ministerin für Arbeit und soziale Sicherheit unter dem chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera. Heute ist sie Bürgermeisterin von Providencia, einer Stadtverwaltung der Metropolregion Santiago de Chile, die mit „Cities Fit for Climate Change“ kooperiert. 


Nongcebo Hlongwa (34) Klimaexpertin in der Stadtverwaltung von eThekwini (Durban), Südafrika 

Nongcebo Hlongwa (Foto: privat)
Nongcebo Hlongwa (Foto: privat)

„Klimawandel ist real!“

„Wir sind die Hände. Damit meine ich, dass die Städte und Kommunen diejenigen sind, die die nationale und internationale Politik in praktischen Maßnahmen umsetzen. Und wir sind diejenigen, die die Fähigkeit haben, Ziele zu verfolgen, damit die Volkswirtschaften unserer Länder angetrieben werden und sich nachhaltig entwickeln. Deshalb war die Partnerschaft mit ,Cities Fit for Climate Change‘ für unsere Kommune von unschätzbarem Wert. Sie war der Einstieg dafür, dass wichtige Entwicklungsstrategien künftig erreicht werden können. Vorher ging es nicht konkret darum, wie die Ziele umgesetzt werden können. Das ist aber nötig, denn der Klimawandel ist für Küstenstädte wie Durban real und geschieht jetzt. Die Zusammenarbeit mit dem Projekt hat uns Klimaexpert*innen in der Kommune gewissermaßen eine Tür geöffnet, um einen umfassenden städtischen Plan mit zu erarbeiten, der den Klimawandel und den Einsatz dagegen konkret berücksichtigt. Somit wurde das Thema von einem Umweltproblem zu einem Thema der Wirtschaftsentwicklung und der Infrastrukturplanung. Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel müssen sich gegenseitig ergänzen, um die Bevölkerung, der wir dienen, sofort zu entlasten. Die Wahrheit ist, dass wir in den Städten und Gemeinden die Unterstützung und Aufmerksamkeit der führenden politischen Akteure brauchen, damit wir handeln können. Das ist meine Nachricht an die UN-Klimakonferenz. Die Politik muss uns vor Ort dabei helfen, Lösungen für die Herausforderungen des Klimawandels zu finden.“

Die Fachexpertin Nongcebo Hlongwa (34) arbeitet für Klimaschutz in der Stadtverwaltung von eThekwini (Durban), einer 3,5-Millionen-Einwohner Metropole in Südafrika.  

 

Cities Fit for Climate Change

Die Urbanisierung ist ein bestimmendes Phänomen des 21. Jahrhunderts. 2050 werden weltweit zwei Drittel der Menschheit in Städten leben. Die dichtbesiedelten Metropolen sind zugleich Verursacher und Betroffene des Klimawandels. Daher müssen neue, zukunftsweisende Strategien zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Klimafolgen in die Stadtentwicklungspolitik einfließen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit setzt die GIZ das Globalvorhaben „Cities Fit for Climate Change“ als Teil der Internationalen Klimaschutzinitiative um. Außerdem kooperiert das Projekt mit den Fachexperten zum Thema Stadtentwicklung im Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.

Chennai in Indien, Santiago in Chile und Durban (eThekwini) in Südafrika sind die Partnerstädte des Projekts, die seit 2015 beraten werden. Rund 200 Stadtplaner*innen, Mitarbeiter*innen von Verwaltungen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen aus den drei Ländern kooperieren in diesem Themenfeld. Sie tauschen sich untereinander und mit europäischen Partner*innen zu ihren praktischen Erfahrungen bei klimagerechter Stadtentwicklung aus, etwa bei internationalen Dialogforen wie zuletzt im August 2018 in Chennai. Zudem erstellt die GIZ mit ihren Partnern ein digitales Handbuch über klimagerechte Stadtentwicklung, das künftig städtischen Praktiker*innen eine Orientierungshilfe bietet. Es enthält Fallstudien aus der ganzen Welt, die Teil eines neu entwickelten Konzepts, dem sogenannten „Climate-Proof Urban Development Approach“, sind. Sie sollen zum Nachahmen anregen. In allen Kommunen schulte die GIZ Mitarbeiter*innen der lokalen Regierung zu klimagerechter Stadtentwicklung.

In Santiago de Chile werden Klimaaspekte künftig stärker bei Infrastruktur- und Wohnungsbauprojekten berücksichtigt: zum Beispiel bei einem der größten städtebaulichen Entwicklungsgebiete von Santiago sowie der Aufwertung der Freiflächen einer 12 Kilometer langen der Hauptverkehrsader der Metropolregion. In Chennai wurden konkrete Vorschläge zur städtebaulichen Gestaltung eines zentralen Kanalabschnitts vorangetrieben, die im Zusammenhang mit einem Ideenwettbewerb entstanden sind. In Südafrika hat das Projekt die Stadtverwaltung eThekwini (Durban) bei der ressortübergreifenden Zusammenarbeit unterstützt. Daraus ist ein sogenannter Klimaresilienzplan entstanden, der erste in Südafrika. Er sorgt nicht nur für eine klimagerechte Stadtplanung, sondern auch dafür, dass das nötige Budget hinterlegt wird: Damit aus den Plänen Realität wird.

Kontakt: Daphne Frank, daphne.frank@giz.de