Perspektiven
Mutter Courage
„Ich habe zum ersten Mal meine Lebensgeschichte erzählt.“
„Ich liebe meine Identität als Transfrau, die ich lebe, seit ich 28 Jahre alt bin. Ich mag die Verwandlung des Körpers, mich herrichten, die Haare färben, mich schminken, ein Kleid anziehen. Seit über 20 Jahren engagiere ich mich für die Rechte meiner diversen Bevölkerung. So habe ich zum Beispiel den Gay-Pride-Marsch in Villavicencio, der Hauptstadt der Region Meta, begründet. Die Menschen nennen mich madre, Mutter.
Als Teenager habe ich sexuelle Gewalt durch Guerillamitglieder erfahren, dann Vertreibung und Verfolgungen. Und das ist nicht vorüber. Im bewaffneten Konflikt wussten wir, woher die Bedrohung kam. Inzwischen wissen wir oft nicht mehr, wer wer ist. Diskriminierung, Stigmatisierung und Verfolgung der diversen Bevölkerung gibt es immer noch, doch wir lassen uns nicht unsere Courage nehmen, im Gegenteil. Wir kämpfen umso mehr für unsere Rechte.
Was sich inzwischen in Meta zum Besseren verändert hat, haben wir der internationalen Zusammenarbeit zu verdanken. Den ausländischen Institutionen glaubt die Regierung. Für das Buch ,Construyendo Memorias – Erinnerungen schaffen‘ habe ich zum ersten Mal meine Lebensgeschichte erzählt. Es ist das Ergebnis von Workshops und Fortbildungen, die die GIZ unterstützt hat. Viele Jahre hatte ich vergeblich für so ein Buch gekämpft.
Wir haben auch einen Bericht für die Wahrheitskommission und die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden verfasst, damit diese einen Fall zur LGBT-Bevölkerung eröffnen kann. Diese Zusammenarbeit mit der GIZ hat uns geeint, unsere Organisationen und den Kontakt zu den Institutionen gestärkt. Wir wurden zudem zu unseren Rechten geschult und ein Teil von uns Führungspersönlichkeiten in psychosozialer Unterstützung ausgebildet. Wir geben dieses Wissen jetzt an andere weiter.“
„Ich will das Denken in diesem Land verändern.“
„Mit 16 Jahren habe ich mich geoutet. Damals litt ich an einer Bauchfellentzündung und wäre fast daran gestorben. Vor der Operation erzählte ich meiner Mutter, dass ich schwul bin. Sie sprach von der Strafe Gottes für Homosexuelle und wollte mich nicht länger im Haus haben. Meine Onkel und mein Bruder bedrohten mich, als ich aus dem Krankenhaus kam. Mein Lichtblick war ein kleines Stipendium, womit ich die Berufsschule abschließen konnte. Meine Mitschüler*innen schenkten mir Essen und die Schulpsychologin, der ich mich anvertraute, organisierte mir einen Nebenjob. In dieser Zeit begann ich auch, mich für die diverse Bevölkerung zu engagieren. Die Zusammenarbeit mit der GIZ hat uns zusammengeschweißt. Wir haben uns innerhalb der diversen Bevölkerung besser kennen- und verstehen gelernt. Einige sind nicht mehr so schüchtern und trauen sich jetzt, vor Leuten zu sprechen. Wir teilen unsere Erfahrungen und versuchen, anderen Mut zu machen. Das ist wichtig, denn die Selbstmordrate in der jungen LGBT-Bevölkerung ist erschütternd. Junge Menschen nehmen sich das Leben, weil ihre Familien sie nicht akzeptieren und sie nicht mehr weiterwissen. Vielleicht werde ich eines Tages Politiker, ich will das Denken in diesem Land verändern.“
*Name geändert
„Wir haben neue Ideen bekommen und Kontakte geknüpft.“
„In unserer ländlichen Region war und ist die Situation der diversen Bevölkerung schwierig. In der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt etwa ist Diskriminierung ein großes Problem. Viele queere Jugendliche gehen nicht mehr zur Schule, weil sie von den Mitschüler*innen oder Lehrer*innen schikaniert werden. Familien brauchen psychosoziale Unterstützung, um zu lernen, ihre Kinder zu akzeptieren. In öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wollen wir Beschäftigte im respektvollen Umgang mit der diversen Bevölkerung schulen. Das sind nur zwei Aspekte aus unseren politischen Leitlinien, die wir entwickelt haben, um die Lebensbedingungen der diversen Bevölkerung zu verbessern. Die erste Arbeitsgruppe zur Inklusion der LGBT-Bevölkerung haben wir vor acht Jahren gegründet. Damals leitete ich das Amt für Soziales und Bürgerteilhabe in Villavicencio. In der Regionalhauptstadt war der Bürgermeister aufgeschlossen. Er hatte schon 2010 mit seiner Frau am ersten Gay-Pride-Marsch teilgenommen und damit ein Zeichen gesetzt.
Das GIZ-Programm ,ProPaz‘ hat uns dabei unterstützt, mehr Menschen einzubinden. LGBT-Organisationen werden gestärkt und ihre Mitglieder über ihre Rechte informiert. Das hilft uns als Regionalregierung, da wir nicht die Mittel dafür haben. Wir haben neue Ideen bekommen und Kontakte in alle Teile der Gesellschaft geknüpft. Es ist wichtig, Allianzen zu schmieden und dieses wichtige Thema in die Behörden zu bringen.“
„Menschen weinten, als sie von der Gewalt gegen uns hörten.“
„Ich bin in einer indigenen Tikuna-Gemeinde am Amazonas zur Welt gekommen. Wegen meiner sexuellen Orientierung wurde ich dort verstoßen. In der Gemeinde, in der ich später lebte, zwang die Guerilla Menschen, zu kollaborieren oder ihr beizutreten. Sie mussten dem Kommandanten gehorchen, sonst wurden sie bestraft, verschwanden oder wurden ermordet. Später bekämpfte die Armee die Guerilla. Deswegen mussten viele fliehen und alles zurücklassen. Mich und andere vertrieb die Guerilla wegen unserer sexuellen Orientierung. Der Staat hat mir nicht geholfen, ich musste das alles alleine überleben. Im Zuge des Buchprojekts mit der GIZ konnten wir zum ersten Mal unsere Geschichten erzählen, wie wir als indigene LGBT-Angehörige Opfer des bewaffneten Konflikts wurden. Das ist für uns ein großer Erfolg. Unsere Familien haben erfahren, was uns zugestoßen ist. Menschen weinten, als sie von der Gewalt hörten, deren Opfer wir wurden. Sich daran zu erinnern, ist sehr hart, aber auch heilend. Das hat unser Leben verändert.
Inzwischen arbeite ich in indigenen Gemeinden der Region. Dort kümmere ich mich um soziale oder gesundheitliche Probleme. Und ich berate Menschen zu ihrem Erscheinungsbild, schminke sie und schneide Haare. Auch nichtindigenen Frauen und Männern versuche ich zu helfen. Diese Arbeit mache ich mit ganzem Herzen und wende dafür all meine spirituelle Kraft auf. Vor der Wahl zum LGBT-Vertreter durch die indigenen Anführer*innen habe ich indigene Gemeinschaften besucht. Anfangs reagierten sie befremdet. Das ist wohl dem Sexismus geschuldet, der verbreitet ist. Aber ich denke, dass ich dies dank meiner spirituellen Gabe und meiner Verbündeten verändern kann.“
Friedensarbeit mit allen
Mit dem Vorhaben „Konsolidierung des Friedens in Kolumbien — ProPaz II“ fördert die GIZ im Auftrag des BMZ die Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit in Kolumbien. Gleichzeitig stärkt sie die Rechte der Opfer. In diesem Kontext unterstützt die GIZ Menschen mit diversen Geschlechteridentitäten oder sexuellen Orientierungen, die „población diversa – diverse Bevölkerung“. Mit Unterstützung von ProPaz II wurden 30 Berichte bei der Sondergerichtsbarkeit eingereicht, mehr als zehn davon mit Gender-Schwerpunkt und drei mit einem Fokus auf ethnische Gemeinschaften. Rund 2.000 Gewaltopfer haben sich direkt daran beteiligt, weitere rund 19.000 Menschen profitieren indirekt von den Wirkungen der Berichte.
Kontakt: Rebekka Rust, rebekka.rust@giz.de
Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs)
der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
aus akzente 3/21 (aktualisiert 9/22)
Frieden leben
Vergangenheitsbewältigung