Perspektiven

Leuchtende Veränderung

In Indien stärkt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Existenzgründerinnen. Frauen werden befähigt, als Unternehmerinnen die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. So werden sie zu Vorbildern. Zwei Stimmen über diesen inspirierenden Weg.

Text
Ruth Evans
Fotos
Nushaura

Julia Karst
Julia Karst, GIZ-Projektleiterin © privat

„Ich setze mich leidenschaftlich für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Stärkung der Rolle der Frau ein. ,Her&Now‘ vereint beides. Nur etwa 20 Prozent aller Unternehmen in Indien werden bisher von Frauen geführt. Das liegt vor allem an den patriarchalen Normen. Bei ,Her&Now‘ fokussieren wir darauf, Frauen dazu zu befähigen, sich selbstständig zu machen und ihre Unternehmen erfolgreich zu führen. Ein wichtiges Element dafür ist, die Frauen in ihrem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis als Unternehmerin zu stärken. Das Ziel dahinter ist nicht nur, mehr Frauen in die Wirtschaft zu bringen, sondern gesellschaftliche Transformation. Denn diese Frauen inspirieren andere, auch einen selbstbestimmten Weg als Unternehmerin zu gehen und sie brechen mit traditionellen Rollenvorstellungen.

„Frauen fördern Frauen und stärken sich gegenseitig“

Julia Karst (37), GIZ-Projektleiterin bei „Her&Now“

Bei ,Her&Now‘ arbeitet die GIZ mit regionalen Partnerorganisationen in zwölf indischen Bundesstaaten zusammen. Rajasthan im Nordwesten ist besonders traditionell geprägt. Frauen können ihre Familien nur sehr schwer überzeugen, sie arbeiten zu lassen. Wir haben dort eine lokale Organisation namens ,Startup Oasis‘ finanziert. ,Startup Oasis‘ hat gemeinsam mit den Partnern in den anderen Bundesstaaten einen Lehrplan für sechsmonatige Unterstützungsprogramme entwickelt und diese durchgeführt. ,Her&Now‘ unterstützt Frauen zum einen bei der Existenzgründung  und  zum anderen beim Wachstum ihrer Unternehmen. Die Frauen erhalten Trainings, Mentoring und andere Hilfen durch das Programm. Und das Gute daran ist, Frauen brauchen weder einen Bildungsabschluss noch vorherige Berufserfahrung, um daran teilzunehmen. Wir haben nur darauf geachtet, ob die Geschäftsidee innovativ war, ob es einen Markt und Wachstumspotenzial gibt und ob das Unternehmen anderen Menschen zukünftig Arbeitsplätze bieten kann. Geworben haben wir dafür in sozialen Medien, im Radio und Zeitungen und in lokalen Veranstaltungen.

Woman with candles

Wir hatten nur ein halbes Jahr Zeit, diese Förderprogramme zu etablieren, bevor Covid-19 zuschlug und wir von Präsenz auf reine virtuelle Unterstützung umstellen mussten. Vor der Pandemie veranstalteten wir regelmäßig dreitägige Workshops für die Unternehmerinnen. Diese Workshops haben den Frauen viel Raum gegeben, sich auszutauschen – zum Beispiel über die Hindernisse und sozialen Widerstände, die sie als Unternehmerin überwinden mussten. All das mussten wir dann in virtuellen Veranstaltungen auffangen, was nicht immer ganz einfach war. Teil der Programme war auch, dass jeder Frau wurde eine Mentorin oder ein Mentor zugeteilt wurde, die oder der mit ihr an spezifischen Herausforderungen ihres Unternehmens beziehungsweise ihrer Geschäftsidee arbeitete. Die Programme in Rajasthan sind inzwischen beendet. In anderen Bundesstaaten laufen sie noch. Ergänzend zu den Workshops und dem Mentoring gibt es auch digitale Lehrveranstaltungen mit Expertinnen und Experten zu Themen wie Mehrwertsteuerregistrierung oder Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, bei denen viele Unternehmerinnen Hilfe brauchen.

In Rajasthan hat ,Startup Oasis‘ es geschafft, dass die Teilnehmerinnen einen starken Gemeinschaftssinn entwickeln. Einige von ihnen haben ein neues Netzwerk mit dem Namen ,AWARE‘ gegründet, um weitere Unternehmerinnen zu unterstützen. Frauen fördern hier Frauen und stärken sich gegenseitig.“

„Es ist wunderschön, diese Veränderung zu erleben“

Tanushree Jain (26), Gründerin des Unternehmens „Nushaura“ in Rajasthan

Tanushree Jain
Tanushree Jain (r.), Gründerin von „Nushaura“

„Als ich am ersten Programm bei ,Startup Oasis‘ in Rajasthan teilnahm, war ich gerade frischgebackene Unternehmerin. Ich hatte keinerlei wirtschaftliche Erfahrung und in meiner Familie oder Verwandtschaft gab es keine Geschäftsleute. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Mein Vater hat vor seiner Rente für eine Eisenbahngesellschaft gearbeitet. Meine Mutter ist Lehrerin. Sie hat mich inspiriert – die Bedeutung finanzieller Unabhängigkeit habe ich durch sie erfahren. Sie unterrichtet vor allem im ländlichen Rajasthan, in abgelegenen Dörfern und Regionen. Über sie habe ich die Kunsthandwerkerinnen kennengelernt, mit denen ich jetzt zusammenarbeite.

Die Idee zu meinem Unternehmen ist entstanden, als ich in Delhi studierte. Ich litt stark unter der Luftverschmutzung. Als ich deshalb im Krankenhaus lag, dachte ich über die vielen ungesunden Produkte nach, die wir in unseren Häusern verwenden. Etwa Kerzen aus Paraffin. Ich begann nach Lösungen für das Problem zu suchen und besorgte Material für Aromatherapiekerzen aus natürlichen Rohstoffen wie Bienenwachs. Als ich mich erholt hatte, begann ich mit zehn Frauen aus dem Dorf Kalwad zusammenzuarbeiten, um die Kerzen herzustellen. Bald zeigten auch andere Frauen aus der Gegend Interesse. Inzwischen ist meine Firma von zehn auf 300 Frauen angewachsen. Ich habe ,Nushaura‘ mit eigenem Geld gegründet, es gab kein Auffangnetz. Meine Eltern und mein Bruder haben mich auf diesem Weg sehr unterstützt, aber von entfernteren Verwandten gab es durchaus Kritik.

Ich liefere mit meinem Team den Frauen in den Dörfern Rohmaterialien wie Wachs, Dochte, ätherische Öle, Messwerkzeuge, Gießformen und Schraubgläser, und wir bringen das Endprodukt auf den Markt. Inzwischen verkaufen wir nicht nur in Indien, sondern auch international über Online-Verkaufsplattformen. Als während des Lockdowns 2020 nur essenzielle Bedarfsgüter verkauft werden durften, stellten wir auch Atemmasken, Desinfektionsmittel und Schutzkleidung her. So konnten wir durch die Pandemie navigieren. 2022 erwarten wir einen Umsatz von etwa 1,5 Millionen Rupien, umrechnet knapp 18.000 Euro.

Alle Frauen besitzen Anteile an ,Nushaura‘, und alle bekommen den gleichen Teil des Gewinns. In vielen Dörfern, in denen wir aktiv sind, ist die Gesellschaft immer noch so patriarchal aufgestellt, dass Familien es Frauen nicht erlauben, zum Arbeiten das Haus zu verlassen. Zu Anfang gab es starken Widerstand der Männer, doch inzwischen sehen sie den Nutzen für die ganze Familie. Die Frauen besitzen inzwischen Smartphones und können die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen. Wir haben ihnen geholfen, Bankkonten zu eröffnen und eigene Personalausweise zu beantragen.

Außerdem bilden wir sie darin aus, ein Unternehmen zu betreiben. Zu Beginn hatten viele kein Selbstvertrauen. Jetzt sind sie sehr selbstbewusst, und es ist wunderschön, diese Veränderung zu erleben. Ich bin ungeheuer stolz darauf, dass einige der Frauen angefangen haben, das Geschäftsmodell von ,Nushaura‘ zu übernehmen – sie machen sich selbständig. Es macht mich glücklich, Frauen dabei zu helfen, autark zu werden.“

Beim Projekt „Frauen als Unternehmerinnen fördern“ – in Indien bekannt unter dem Titel „Her&Now“ – hat die GIZ im Auftrag des BMZ bisher mehr als 800 Frauen unternehmerische Kompetenzen vermittelt. Die GIZ arbeitet dabei mit verschiedenen Partnern zusammen und wirbt für die wichtige Rolle von Unternehmerinnen für die Entwicklung Indiens. Das geschieht etwa in Videos, Fernseh- und Radio-Spots und Podcasts.

 

Kontakt: Julia Karst, julia.karst@giz.de

 

Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei: