Reportage
1 / 2022
Gefährlich und kostbar

Die Faszination für Schlangen verbindet Wissenschaftler des Chittagong Medical College Hospitals am Golf von Bengalen und des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main. In einer Klinikpartnerschaft arbeiten sie miteinander und lernen dazu, damit mehr Opfer von Vergiftungen gerettet werden können.

Text
: Amina Neyamat
Fotos
: Tapash Paul

Der Schatz des Chittagong Medical College Hospitals (CMCH) ist gut bewacht. Wer dorthin gelangen will, muss ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem durchlaufen: medizinische Kittel anziehen, Hände desinfizieren, die automatische Eingangssperre durchqueren und danach durch eine starke Glastür. Hinter einer weiteren Schiebetür grüßt das gefährliche und kostbare Gut mit einem bedrohlichen Zischen. 300 Giftschlangen leben hier in mit schwarzen Stoffbahnen verhüllten Regalen. Wer den schwach beleuchteten, klimatisierten Raum zum ersten Mal betritt, kann durchaus eine Gänsehaut bekommen.

Das gilt natürlich nicht für das Team des Giftforschungszentrums des CMCH in Chattogram im Südosten Bangladeschs. Für die Forschungsassistenten rund um Professor Aniruddha Ghose ist das vertrautes Terrain. „Wenn sie Bewegung um sich herum wahrnehmen, geraten manche Schlangen in Stress. Sie zischen laut, um zu signalisieren, dass man sich fernhalten soll“, sagt Mizanur Rahman, der wie seine Kollegen für die Pflege und Aufzucht der Tiere verantwortlich ist. Sie nehmen ihnen auch mit einer beeindruckenden Technik Gift ab, um mehr über die Entwicklung von Antivenin zu lernen, das Menschenleben rettet. Die Reptilienforscher fühlen sich sichtlich wohl in der Gesellschaft der Kriechtiere. Heute hat das Team einen Gast und dem geht es ebenso: Dr. Ulrich Kuch ist einer der renommiertesten Schlangenbiss-Experten weltweit. Der Biologe ist Leiter der Abteilung Tropenmedizin und Global Health im Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt. Er engagiert sich in einer Klinikpartnerschaft zwischen dem Hospital am Golf von Bengalen und der Universitätsklinik am Main. Seit 2020 sind beide Häuser Teil dieses globalen Förderprogramms Klinikpartnerschaften, das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des BMZ durchgeführt wird.

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Den Kontakt zum CMCH und anderen Kliniken in Bangladesch hatte Kuch schon zuvor aufgebaut. Seit vielen Jahren arbeiten deutsche und bangladeschische Forscher gemeinsam zum Thema Vergiftungen und Schlangenbisse. Ein drängendes Thema, gerade in ländlichen Regionen: Expert*innen gehen von rund 700.000 Schlangenbissen in Bangladesch pro Jahr aus. Täglich sterben dort durchschnittlich 16 Menschen daran, berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Mehrzahl der Opfer ist jung. Kuch weiß aus seinen Aufenthalten in Asien, welches Leid es auslöst und in welche Armut es eine Familie stürzt, wenn der Ernährer verstirbt oder etwa durch Amputationen dauerhaft arbeitsunfähig wird. Die immensen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Probleme, die Schlangenbisse für die Landbevölkerung des Globalen Südens darstellen, wurden lange Zeit nicht anerkannt. Inzwischen hat die WHO Schlangenbisse und ihre Folgen als „vernachlässigte Tropenkrankheit höchster Dringlichkeit“ eingeordnet.

Für Kuch und Ghose geht es nach dem Vormittag im Giftforschungszentrum nebenan in die Klinik. Dort werden täglich Fälle von Schlangenbissen oder Vergiftungen aufgenommen, jährlich etwa 5.000. Chattogram hat ein riesiges Einzugsgebiet. Vierzig Millionen Menschen, knapp ein Viertel der Bevölkerung des Landes, leben in der dicht besiedelten Region. Neben den Schlangenbissen gibt es noch einen weiteren Auslöser für Vergiftungen. Eingeliefert werden auch Menschen, die versucht haben, sich mit Pestiziden das Leben zu nehmen, oft aus Verzweiflung über ihre Armut und über die Verschuldung der Familie. Bangladesch ist trotz eines moderaten Wirtschaftswachstums weiterhin eines der ärmsten Länder Asiens.

Im CMCH werden alle Menschen behandelt, die Hilfe suchen. Sie profitieren inzwischen von Anschaffungen, die im Zuge der Klinikpartnerschaft finanziert wurden, zum Beispiel tragbaren Ultraschallgeräten, die direkt am Krankenbett eingesetzt werden können. Beim Rundgang auf der Krankenstation macht Professor Ghose deutlich, wie zentral diese Ausstattung ist und wie wichtig die Unterstützung aus Deutschland auch während der Corona-Pandemie war. Gerade für schwer vergiftete Patientinnen oder Patienten sei es viel zu anstrengend, für eine Untersuchung transportiert zu werden. In solchen Fällen wirkt das mobile Ultraschallgerät wie ein „Zauberstab“, sagen Ärztinnen und Ärzte. Ohne Patientinnen oder Patienten zu bewegen, liefert es korrekte Daten über die inneren Organe und hilft, eine wirksame Behandlung festzulegen. „Das Programm der Klinikpartnerschaften hat diese dringend notwendige Modernisierung in Verbindung mit Trainings für unsere Gesundheitsfachkräfte möglich gemacht“, sagt Aniruddha Ghose zu Kuch, als sie durch die belebte Station gehen, um nach einem Patienten zu schauen, der kurz zuvor mit dem Ultraschallgerät im Bett untersucht worden ist.

Damit alle Medizinerinnen und Mediziner mit den neuen Geräten arbeiten und sie in der Aus- und Weiterbildung einsetzen können, hat das CMCH Platz für ein Labor und ein Schulungszentrum geschaffen. „Dieses Skill Lab verbessert nicht nur die Patientenversorgung, hier wird medizinisches Fachpersonal in modernen Methoden geschult“, erklärt Ghose und Kuch ergänzt: „So wird in Zukunft Wissen über das ganze Land verteilt.“ Beide engagieren sich mit ganzer Kraft für die Partnerschaft, in der beide Seiten fachübergreifend voneinander lernen. Experten und Expertinnen tauschen sich hier aus. „Das CMCH hat sich als das erste Giftforschungszentrum dieser Art auf dem südasiatischen Subkontinent etabliert – auch dank der finanziellen Unterstützung durch Bangladeschs Regierung, der Hilfe der brillanten Absolventen des Fachbereichs Zoologie der Universität Chittagong und der erfolgreichen Zusammenarbeit mit seinen deutschen Partnern“, betont Ulrich Kuch. In den Gesprächen mit seinen Kollegen aus Bangladesch gibt es auch für ihn immer wieder Aha-Momente. Etwa, wenn er Neues über die lokale Schlangenpopulation erfährt.

 

Länderwiki
Bangladesch

LAND: Bangladesch

HAUPTSTADT: Dhaka

BEVÖLKERUNG: 164,7 Millionen

BRUTTOINLANDSPRODUKT PRO KOPF: 1.969 US-Dollar

WIRTSCHAFTSWACHSTUM: 2,4 Prozent

RANG IM HUMAN DEVELOPMENT INDEX: 133 von 189

Quelle: Weltbank

Das bengalisch-deutsche Tandem hat schon das nächste Ziel vor Augen. Um für Bangladesch angepasstes und kostengünstiges Antivenin herstellen zu können, benötigt das Land eine größere Einrichtung als das überschaubare CMCH-Zentrum. Nur so kann genügend hochwertiges Schlangengift in einem kontrollierten Forschungslabor nach modernen wissenschaftlichen Verfahren gewonnen werden. Bisher ist in Bangladesch ausschließlich Gegengift erhältlich, das in Indien hergestellt wird. Das importierte Mittel ist nur gering wirksam. „Unsere gemeinsame Forschung hat gezeigt, dass Gifte von Schlangen wie Kettenvipern und Kobras in Bangladesch ganz andere Toxine enthalten als in Indien“, sagt Kuch. Doch diese kann das indische Gegengift nicht neutralisieren.

Unterdessen wird im Giftforschungszentrum ein beeindruckendes Exemplar einer Kettenviper gemolken. Die Fachleute im Chittagong Medical College Hospital arbeiten weiter mit diesem tierischen Schatz – kostbar und gefährlich zugleich.

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Klinikpartnerschaften weltweit

Medizinische Fachkräfte dabei zu fördern, sich weiterzubilden, sie mit innovativen Formaten zu begleiten und gegenseitiges Lernen und Vernetzung voranzutreiben – all das schafft das Programm Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in 65 Ländern mit 2.900 Projektbeteiligten. Ziel ist, dass Gesundheitsfachkräfte weltweit gestärkt werden. Das Förderprogramm ist vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beauftragt und mitfinanziert durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung. Die Partnerschaften umfassen das ganze Spektrum der Versorgung – von A wie Anästhesie über P wie psychische Gesundheit bis Z wie Zahngesundheit. Das Programm reagiert auf aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine, mit Sofortmaßnahmen und Sonderausschreibungen. So konnte beispielsweise die SARS-CoV-2-Übertragung eingedämmt und erkrankten Menschen gezielt geholfen werden. In Bangladesch wurden bisher Partnerschaften von fünf Kliniken mit deutschen Krankenhäusern und Organisationen gefördert.

Kontakt: klinikpartnerschaften@giz.de