Fidschi

Wenn das Paradies untergeht

Für die Bewohner eines Dorfes in Fidschi ändert sich durch den Klimawandel alles.

Text und Fotos
Mareike Kürschner

Zweimal am Tag besucht das Meer Kelepi Saukitoga. Es drängt in sein Dorf Narikoso und umspült sein Haus. Bei Flut könne er von seinem Wohnzimmer aus angeln, scherzen Nachbarn, deren Häuser noch auf dem Trockenen stehen. Der Hauseingang, der einst zum Ufer führte, ist nun mit Brettern vernagelt. „Damit die Kinder nicht ins Wasser fallen“, erklärt Saukitoga. „Es ist gefährlich, denn sie verstehen noch nicht, warum das alles geschieht und warum es uns hier trifft.“

 

Narikoso, ein Dorf mit 107 Einwohnern, ein paar Hühnern, Hunden und Mangobäumen, wird untergehen. In 20 Jahren oder, wenn es gut läuft, auch erst in 50 Jahren – je nachdem, wie schnell der Meeresspiegel steigt. Der kleine Ort liegt auf der Insel Ono, rund 90 Kilometer südlich von Suva, der Hauptstadt der Fidschi-Inseln im Süd-Pazifik. Seit Jahren beobachten die Menschen, wie das Wasser immer näher kommt, Zentimeter um Zentimeter schiebt es sich weiter ins Land. 

Raus aus der „roten Zone“

Die 40 Bewohner von sieben Häusern in Narikoso sollen im nächsten Jahr auf eine Anhöhe umziehen, rund 150 Meter vom jetzigen Dorf entfernt, darunter auch Saukitogas sechsköpfige Familie. Ihre Häuser liegen in der „roten Zone“: Ihnen kommt das Wasser schon  jetzt gefährlich nahe, ihre Umsiedlung ist am dringlichsten. Die 21 weiteren Häuser des Dorfes können noch ein paar Jahre länger bewohnt werden. Zu dem Projekt gehört auch die Umsiedlung der Bezirksschule Waciwaci auf der Insel  Lakeba, wo 70 Schüler von 4 Lehrern unterrichtet werden. Seit 2014 unterstützt  die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die pazifischen Inselstaaten dabei, mit den Auswirkungen des Klimawandels besser zurecht  zu kommen.   

 

Das Projekt in Fidschi wird  auch dazu beitragen, dass die Inselbewohner ein besseres Einkommen erwirtschaften können: Sie legen Gärten an, lernen, zu kompostieren und mit hitzeverträglichen Obst- und Gemüsesorten umzugehen, bauen Schweine- und Hühnerställe  sowie Bienenhäuser für Honigbienen. Einen Teil der Produkte verkaufen sie  an die  nahegelegenen Ferien-Resorts, einen Teil werden sie selber nutzen.

Der erste Versuch scheiterte

Die Umsiedlung folgt einem Plan. Ein erster Versuch im Jahr 2011 hatte Umweltschäden im Dorf verursacht. Das Militär planierte das für den Umzug vorgesehene Land. Doch der nächste große Regen löste eine Schlammlawine aus. Die ergoss sich ins Meer und zerstörte auf dem Weg dorthin die Mangroven und Nadelhölzer, die wiederum den Küstenstreifen bei Sturm und Flut sichern. Saukitoga, der auch Bürgermeister von Narikoso ist,  ist froh, dass es nun eine Strategie zur Umsiedlung gibt. 

Geologen haben die neue Siedlungsfläche geprüft und für den Bau vorbereitet. Auch die Mangroven, die einst entlang der Küstenlinie wuchsen, sollen wieder aufgeforstet werden – zum Schutz der Familien in den 21 Häusern, die erstmal bleiben müssen. Strom- und Trinkwasserleitungen sowie die Wege im neuen Dorf werden bereits jetzt für die Häuser ausgelegt, die später hinzukommen sollen. Der Prozess dient als Praxisbeispiel für künftige Umsiedlungen in den 14 pazifischen Inselstaaten, auf denen elf Millionen Menschen wohnen. Schon heute schätzt man, dass 100 Gemeinden umsiedeln müssen. 

Ein Plan für die Klimakonferenz

Die Umsiedlung basiert auf einem zusammen mit allen Beteiligten entwickelten Richtlinienkatalog, den Fidschi bei der Klimakonferenz in Bonn im November 2017 einbringen wird. Die beteiligten Ministerien werden geschult und die Bewohner eng in die Planungen einbezogen. Die Menschen im Dorf sollen lernen, wie sie sich später selbst helfen können – damit auch der Umzug des restlichen Ortes gelingt. Saukitoga glaubt, dass es nur noch zwei Jahre dauern wird, bis die anderen ihm auf die Anhöhe folgen werden. Die Finanzierung der zweiten Umsiedlungsphase wird noch geklärt. 

Warum das Haus des 40-Jährigen wieder und wieder im Wasser steht, beschäftigt inzwischen weltweit zehntausende Wissenschaftler und Politiker – die Küsten- und Inselbewohner sowieso. 100 Millionen Menschen leben auf Land, das weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegt.

Modell für Millionenstädte?

Unfreiwillig wird das Dorf Narikoso zum Labor der Anpassung an das veränderte Klima und seine Folgen. Denn der Ozean rückt nicht nur Dörfern näher, sondern auch Metropolen wie Miami und Rio de Janeiro. Doch wenn die Umsiedlung schon in Narikoso so schwierig ist, wie soll es dann in Millionenstädten klappen?

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50 Inselstaaten rund um den Globus sind bereits heute dramatisch vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Bis 2100 rechnet der UN-Klimarat als Folge der globalen Erderwärmung mit einem Wasseranstieg von 52 bis 98 Zentimetern. Andere Institutionen gehen sogar von noch mehr aus, wie das deutsche Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Dessen neueste Zahlen gehen sogar von einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 1,70 Meter aus. Über den Klimawandel wird viel debattiert. Doch das nützt Bürgermeister Saukitoga wenig. Er kann nur zusehen, wie das Meer ihm Jahr für Jahr wieder ein Stückchen seines Bodens raubt. Er zeigt auf einen Steinwall, rund zehn Meter vom Haus entfernt. Die Gezeiten haben ihn abgetragen, bei Flut ragen seine Reste nur noch eine Handbreit aus dem Wasser. „Als wir die Mauer vor 20 Jahren gebaut haben, war das Meer noch dahinter. Sie hat uns geschützt.“

„Ich stehe mit den Füßen im Wasser“

Der Bürgermeister macht dafür die Industriestaaten verantwortlich: „Wegen ihrer Luftverschmutzung schmilzt das Eis am Nordpol. Deswegen stehe ich hier mit den Füßen im Wasser.“ Er zieht ein Stück Wellblech ins Trockene, das von den letzten Bauarbeiten am Dach übrigblieb. In seinem Wohnzimmer zeigt Saukitoga die Risse in den Wänden – der über der Tür ist zwei Finger breit. Die Ziegel sind durch das Wasser porös geworden, eine Hauswand ist schon eingestürzt.

„Im Pazifikraum wurden die Klimaveränderungen früher als bei uns sichtbar“, erklärt Wulf Killmann, Direktor des GIZ-Büros in Fidschis Hauptstadt Suva. Seit 1977 ist die Organisation in der Region aktiv. „Die Auswirkungen sind heftigere Stürme und ungenieβbares Trinkwasser durch den ansteigenden Meeresspiegel, der die Böden versalzt.“ Außerdem kommen die Niederschläge nicht mehr so gleichmäßig und die Land- und Meerestemperaturen steigen. Die Wärme des Meerwassers zusammen mit einer durch ein höheres Kohlendioxyangebot in der Atmosphäre saurer werdenden PH-Wert beeinträchtigen den Lebensraum der Korallen und Fische. „Verschwinden sie, kommt es zur Nahrungsmittelknappheit im Pazifik.“

Auch die Pflanzen müssen sich anpassen

Wissenschaftler gehen bis 2050 von einem Rückgang der Küstenfischerei um 30 Prozent aus, im Wesentlichen verursacht durch den Klimawandel. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung stark. Die GIZ unterstützt die pazifischen Inselstaaten mit verschiedensten Anpassungsmaβnahmen in Fischerei und Landwirtschaft, um Nahrungsmittelkrisen zu verhindern. 

Überall auf der Welt wird so versucht, Menschen auf andere Lebensumstände vorzubereiten. Auch die Pflanzen müssen sich anpassen. In Laboren in Europa, den USA, Asien werden deshalb Nutzpflanzen gezüchtet, die extremen Wetter- und Bodenbedingungen besser standhalten. Die GIZ greift bei der Wahl der Nutzpflanzensorten auf eine Genbank der Pazifischen Gemeinschaft (SPC) in Suva zurück.

„Die da oben und wir hier unten“

Bürgermeister Saukitoga hat sich mit der Umsiedlung arrangiert und sieht in ihr eine Chance. Es ist nicht alles schlecht, was mit dem Meer kommt, meint er. So geht es nicht jedem im Dorf, aber es zieht auch nicht jeder um – noch nicht. 

Eine, die das alles skeptisch betrachtet, ist Bulou Katarina. Die alte Frau sitzt auf einer Bank mit Blick auf den Dorfplatz: eine Wiese, auf der junge Männer gerade für ein Rugby-Turnier trainieren. Sie glättet Palmblätter zwischen ihren Fingern. Mit ihnen werden Dächer gedeckt oder Körbe geflochten. Die Hände der Frau lassen nicht auf ihr Alter schließen.  Der Titel „Bulou“ weist sie als Stammeschefin aus. „Ob ich den Tag erleben werde, an dem wir alle umziehen?“ Sie weiß es nicht. 

Obwohl sie in der Hierarchie des Dorfes ganz oben steht, wird sie nicht zu denen gehören, die als Erste umziehen. Das nagt an ihr. „Es wird schwierig werden mit denen da oben und uns hier unten“, sagt sie. Am Abend trifft die Dorfgemeinschaft in Narikoso zu einer Sitzung im Gemeindehaus zusammen. Es geht um den Zeitplan des Umzugs, um neue Bootsmotoren und um die Viehzucht, die bald im Ort beginnen soll. Bulou Katarina sagt nichts. Sie ist traurig über die Veränderungen, auf die sie keinen Einfluss hat, über den Klimawandel. Für sie geht Narikoso unter. So oder so.

Ansprechpartner: Wulf Killmann > wulf.killmann@giz.de

Oktober 2017