Marokko

Lernen für die Energiewende

Marokko will den Anteil der erneuerbaren Energien massiv erhöhen. Doch dafür fehlen Fachleute. Ein neues Institut bildet sie aus.

Text
Marie Tuil
Fotos
Yana Wernicke

Fünf Sprossen noch, dann hat sie es geschafft: Imane Lemsafi steht in schwindelerregender Höhe auf einem kleinen runden Plateau. In der Mitte klafft ein tiefes Loch. Sie holt hörbar Luft, schaut in den dunklen Abgrund hinunter – und lacht. Die 17-Jährige ist das erste Mal hier oben, auf dem Übungsturm für Auszubildende in Windkrafttechnik. Zeit für ein Selfie in voller Arbeitsmontur: Klettergurt, riesige Karabinerhaken, Helm. 

Institut für die Berufsbildung in erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in Oujda, Marokko.
Institut für die Berufsbildung in erneuerbaren Energien und Energieeffizienz in Oujda, Marokko.

Lemsafi ist eine der ersten 67 Auszubildenden des Instituts für die Berufsbildung in erneuerbaren Energien und Energieeffizienz, das Ende 2015 im marokkanischen Oujda gegründet wurde. Mit ihrer Lehre zur Spezialistin für Energiequellen der Zukunft macht Lemsafi gleichzeitig einen großen Schritt in die eigene Zukunft. Denn im Gegensatz zu ihr hat laut einer Weltbankstudie fast die Hälfte der Jugendlichen in Marokko weder einen Ausbildungsplatz noch eine Arbeit. 

Die Energiewende vorantreiben

Fünf Organisationen unterstützen das Institut: drei staatliche Energiebehörden und zwei Industrieverbände. Die Berufsschule ist zudem Teil der Deutschen Klimatechnologieinitiative, die auch außerhalb Deutschlands die Energiewende vorantreiben will. Finanziert wird die Initiative vom Bundesmi­nisterium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 

In Marokko unterstützt die Initiative nachhaltige Energieunternehmen durch Netzwerke und Beratungsmöglichkeiten, sie fördert die angewandte Forschung und bietet eben eine spezialisierte Ausbildung an. Die GIZ hat im Auftrag der beiden deutschen Ministerien und in Kooperation mit dem marokkanischen Energieministerium beim Aufbau des Instituts beraten, die Entwicklung der speziellen Lehrpläne unterstützt und sich um die Weiterbildung der Lehrer und um einen Teil der Ausrüstung für die Werkstatt gekümmert. 

Laboratmosphäre: In der Werkstatt hat die Photovoltaik-Klasse Versuchsanordnungen für Solarpanels aufgebaut, mit Lampen als Sonnen.
Laboratmosphäre: In der Werkstatt hat die Photovoltaik-Klasse Versuchsanordnungen für Solarpanels aufgebaut, mit Lampen als Sonnen.

Der Turm, auf dem Lemsafi jetzt steht, sieht aus wie ein in der Mitte abgesägtes Windrad. Sein einziger Zweck: erklommen zu werden. Denn selbst wer auf hohen Gebäuden schwindelfrei ist, kann auf einer so kleinen Fläche – umweht von böigem Wind – weiche Knie bekommen. Wie es ihnen dort oben ergeht, sollen die Auszubildenden hier testen, bevor sie sich für die Windkraft entscheiden. Der jungen Frau scheinen die 14 Meter Höhe und der Wind gar nichts auszumachen – sie strahlt. „Da oben fühlt man sich frei“, sagt sie, als sie wieder unten ankommt. Sie hatte es zwar auch vorher schon vermutet, aber jetzt weiß sie es sicher: „Ich mag das Abenteuer.“ 

Mehr Berufspraxis

Lemsafi ist eines von sechs Kindern, ihr ältester Bruder studiert Physik. „Ich habe, genau wie mein Bruder, einige Zeit ins Physikstudium an der Universität hineingeschnuppert. Doch gefallen hat es mir da nicht. Ich mag kleine Klassen – die Uni war mir zu theoretisch.“ Zu viele Studenten, überforderte Professoren, veralteter Stoff: Ein Studium in Marokko ist meist sehr theoretisch, die Berufspraxis kommt nicht vor. Das neue Institut will das Gegenteil bieten. 

Der Campus wirkt wie eine kleine, perfekte Modellwelt: ein Ort, an dem die Sonne immer scheint und der Wind immer weht, ein Paradies für erneuerbare Energien. Statt die spärlichen Pflanzen auszutrocknen und den kahlen Boden abzutragen, bewirken Sonne und Wind hier Gutes. Auf dem drei Hektar großen Gelände ist alles grün – denn Wasser gibt es genug. Eine solarbetriebene Pumpe holt es aus 153 Metern Tiefe an die Oberfläche. Wie Kamele speichern die Sukkulenten, darunter auch Kakteen, das Wasser. Ihre fleischigen Blätter breiten sich auf den Gehwegen zwischen Cafeteria und Lehrwerkstätten aus. 

Über die Hälfte der Schüler sind Frauen 

In der lichtdurchfluteten Werkstatthalle macht die Photovoltaik-Klasse gerade Versuche an verschiedenen Solarpanels. 13 Mädchen und zwei Jungen besuchen die Klasse, und das ganz ohne Frauenquote. In dieser Gruppe gibt es besonders viele Schülerinnen – insgesamt sind die Mädchen an der Schule nur leicht in der Überzahl. Sie alle werden zu technischen Facharbeiterinnen und -arbeitern ausgebildet. 

Spaß bei der Praxis – die Ausbildungsplätze im Institut für erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind begehrt und die Berufsaussichten für die Absolventinnen hervorragend.

Der Boden unter ihren Füßen ist gelb: Die Farbe steht für Photovoltaik. Blau bedeutet Solarthermie, Rot Windkraft und Grün steht für Energieeffizienz – so ist die fußballfeldgroße Werkstatthalle aufgeteilt. Ein Ausbildungsbereich für Biomasse kommt noch hinzu. Das Labor dafür in der zweiten Halle ist zwar noch im Aufbau, drei Biogasanlagen und der Lehrplan stehen aber schon. Die GIZ hat ihn in enger Zusammenarbeit mit Experten aus der marokkanischen und europäischen Industrie entwickelt – mit dem Ziel, genau die Arbeitskräfte auszubilden, die das Land wirklich braucht. 

Marokko war lange Zeit fast vollständig vom Import fossiler Brennstoffe abhängig und entdeckt gerade erst sein enormes Potenzial im Bereich erneuerbarer Energien. Bis 2020 – so will es die Regierung – sollen 42 Prozent der Stromerzeugung auf alternativen Energien beruhen, 28 Prozent des Stroms aus Sonnen- und Windkraftanlagen eingespeist werden. Nahe der Stadt Ouarzazate entsteht mit Unterstützung der KfW der größte Solarpark der Welt. Langfristig will das Land den grünen Strom sogar exportieren. Von dieser Energiewende ist auch Lemsafi überzeugt: „Das Thema erneuerbare Energien ist in Marokko noch neu, aber es hat eine vielversprechende Zukunft. Meine Familie ist sehr stolz, dass ich in diesem Feld arbeiten werde.“

Lehrer werden dringend gesucht

Um für den Wandel genügend Fachkräfte auszubilden, entstehen in Tanger und Ouarzazate zwei Partnerinstitute der Berufsschule. Die Nachfrage wächst, das zeigen die Bewerberzahlen: Waren im Sommer 2015 gerade einmal drei Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz eingegangen, kämpften ein Jahr später schon 140 Bewerber um einen Platz. Die internationale Begleitung und gute Ausstattung des Instituts haben sich herumgesprochen. Inzwischen kommen immer mehr Kandidaten mit ihren Bewerbungsunterlagen direkt ans Tor des Campus – sie hoffen, mit einer persönlichen Abgabe ihre Chancen zu erhöhen. Doch solche Abkürzungen funktionieren nicht, das Auswahlverfahren ist fair und transparent: Die Abiturnoten entscheiden, wer in die Vorauswahl kommt. Danach folgen mündliche und schriftliche Tests.

Während die Schüler also inzwischen Schlange stehen, um an einem der neuen Institute zu lernen, bleibt eine große Herausforderung weiterhin bestehen: geeignete Lehrer zu finden. Weil die marokkanischen Hochschulabsolventen meist wenig praktisches Know-how haben, muss das Berufsbildungsinstitut in Oujda den Nachwuchs für die Lehre selbst weiterbilden. Die GIZ lädt deshalb regelmäßig Experten aus der Praxis ein, die den Lehrern pädagogische und fachliche Fertigkeiten vermitteln.

Kleine Klassen und direkter Austausch

Es ist eine Weiterbildung in drei Schritten: Nachdem die zukünftigen marokkanischen Lehrer sich die Grundlagen erarbeitet haben, assistieren sie zunächst dem Ausbilder im Unterricht. Später werden die Rollen getauscht und zum Schluss übernimmt der neue Lehrer die Klasse dann allein. Acht Lehrende wurden so in Oujda schon weitergebildet. 

Die kleinen Klassen und der direkte Kontakt bei den praktischen Übungen schaffen ein gutes Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Lemsafi erzählt: „Vor kurzem haben wir zum Geburtstag unseres Klassenlehrers eine Überraschung vorbereitet, zwei Lehrer haben uns bei der Planung geholfen. Es war Ramadan und wir haben ihn während des traditionellen Abendessens mit einer Torte und einem Lied überrascht.“ 

Alle Absolventen haben einen Job in Aussicht

Das gute Miteinander schafft eine produktive Lernatmosphäre. Immer wieder üben sich die Schüler an praktischen Aufgaben. So soll eine Gruppe im Bereich Solarthermie zum Abschluss des ersten Ausbildungsjahres die Solarmodule auf dem Dach des Internatsgebäudes optimieren. Diese Module versorgen die auf dem Campus wohnenden Schüler mit warmem Wasser. Sie funktionieren zwar, ihre Leistung könnte aber besser sein. In vier Gruppen erarbeiten die Schüler deshalb einen Plan – der beste soll am Ende umgesetzt werden. „Wir bilden hier Leute aus, die in der Lage sind, kleine bis mittlere Anlagen selbstständig zu konzipieren, zu bauen und zu betreuen“, sagt John Fimpel von der GIZ. Der Fokus liegt auf der praktischen Anwendung, betont er. 

Ein Jahr später, im Juli 2017, haben 58 der 67 Schüler es geschafft: Sie haben ihre Ausbildung abgeschlossen, auch Imane Lemsafi gehört dazu. Und die Konzentration auf die Praxis hat sich ausgezahlt – alle Absolventen haben einen Job in Aussicht, zum Beispiel in Installationsfirmen für Solarthermie und Photovoltaik.

Ansprechpartner: John Fimpel > john.fimpel@giz.de

aus akzente 3/17

Marokko

ZUKUNFT MIT NEUER ENERGIE

Projekt: Deutsche Klimatechnologieinitiative (DKTI I)
Land: Marokko
Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit; Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politischer Träger: Marokkanisches Ministerium für Energie, Bergbau und Nachhaltige Entwicklung
Laufzeit: 2013 bis 2018

Für seine Energiewende braucht Marokko Facharbeiter – die nachhaltige Energieversorgung ist also eine Branche mit guten Berufsaussichten. Das macht sie attraktiv für junge Marokkaner, gerade angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 20 Prozent. Im Sommer 2017 hat der erste Fachtechnikerjahrgang die Ausbildung am Berufsbildungszentrum IFMEREE in Oujda abgeschlossen: 58 qualifizierte junge Fachleute, gut die Hälfte von ihnen Frauen. Die Nachfrage nach der Ausbildung ist groß, auf jeden Platz kommen etwa 140 Bewerber. Weitere Berufsbildungszentren in Marokko sind geplant.