Gewagt und gewonnen
Shahlo Burhanova bleiben zehn Tage, um 9.000 Schuluniformen zu fertigen. Sollte die Unternehmerin das nervös machen, lässt sie es sich nicht anmerken. Ruhigen Schrittes geht die 40-Jährige in dem langen, türkisfarbenen Kleid durch ihre Schneiderei, beugt sich zu einer Mitarbeiterin herunter, hält prüfend eine kleine karierte Weste hoch. Jede Schule bekommt eine andere Uniform, die Entwürfe stammen von Burhanova selbst. Design – diesen Teil der Arbeit mag sie am liebsten. Vor wenigen Monaten hat sie in Shartuz, im Südwesten Tadschikistans, ihren eigenen Betrieb eröffnet. Eigentlich wollte sie Brautkleider herstellen, doch dann kam dieser Großauftrag: 25.000 Uniformen für 56 Schulen. Die Brautmode muss warten.
Flexibel sein, Chancen nutzen, die eigenen Möglichkeiten richtig einschätzen: All das hat Burhanova in Kursen zur Existenzgründung nach und nach gelernt. Die Kurse bietet die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mit finanzieller Beteiligung des britischen Ministeriums für internationale Entwicklung an. Als Selbstständige gehört Burhanova in Tadschikistan zu einer kleinen, aber wachsenden Gruppe, auf der große Hoffnungen ruhen. Die Gründer könnten eine tragende Rolle beim wirtschaftlichen Aufbau des Landes spielen. Tadschikistan ist einer der am wenigsten entwickelten ehemaligen Sowjetstaaten. Der Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1997 verstärkte den wirtschaftlichen Verfall, seine Folgen sind bis heute spürbar. Viele Menschen suchen deshalb Arbeit im Ausland, vor allem in Russland: Das Geld, das sie in die Heimat schicken, macht fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus. Kein anderes Land weltweit ist so stark abhängig von Rücküberweisungen.
Neue Jobs in der Privatwirtschaft
Hier setzt ein umfangreiches Förderprogramm an. Es soll die Privatwirtschaft beleben und Jobs schaffen – auch, weil wegen der wirtschaftlichen Lage in Russland viele Arbeitsmigranten zurückkehren, in eine nicht minder ungewisse Situation. „Uns geht es vor allem um Arbeitsplätze und höhere Einkommen, und das in möglichst weiten Teilen des Landes“, sagt Programmleiter Hagen Ettner. Die Unterstützung von Start-ups ist dabei ein wichtiger Baustein. Die Gründer werden geschult und begleitet. Sie lernen, Businesspläne zu schreiben und ihre Produkte zu vermarkten. Außerdem berät die GIZ Mikrofinanzorganisationen im Land. Zum ersten Mal bieten sie nun Mikrokredite für Start-ups an, vorher bekamen nur bestehende Unternehmen eine Förderung.
Weil Kapital in Tadschikistan teuer und die Inflation hoch ist, sind die Zinsen bei Mikrokrediten – wie in vielen Entwicklungsländern – jedoch erheblich. Burhanova hat einen Kredit über umgerechnet rund 35.000 Euro aufgenommen, zu einem Zinssatz von 26 Prozent. Das Geld will sie deshalb weit vor dem Ende der zweijährigen Laufzeit zurückzahlen. „Möglichst schon nach sechs Monaten“, sagt sie, während an den Nähmaschinen um sie herum weitere Uniformen den letzten Schliff bekommen. Die meisten der mehr als 40 Mitarbeiterinnen haben früher zu Hause in Eigenarbeit genäht. Hier verdienen sie rund 400 Euro pro Monat, gut das Dreifache des Durchschnittseinkommens. Burhanova will die Schneiderinnen langfristig beschäftigen, sie hat noch viel vor. An den Wänden hängen Fotos von Frauen in kunstvollen Brautkleidern, wie sie hier bald entstehen sollen.
Rundumpaket für ihre Kundinnen
Das Geschäft von Oihon Tojieva ist schon jetzt ein Hochzeitstraum. Es liegt wenige Autominuten entfernt, im Zentrum des kleinen Ortes Shartuz, und ist so etwas wie der verlängerte Arm der Schneiderei: Tojieva verleiht Brautkleider. Ein leerstehendes Kaufhaus richtete sie dafür mit viel rotem Stoff und Blumenschmuck wieder her. In der ersten Etage stehen in langen, geraden Reihen Dutzende Puppen in weißen Kleidern – als wäre eine Debütantinnen-Formation beim Opernball mitten im Geschehen erstarrt. Solange die Schneiderei noch keine Kleider produziert, importiert Tojieva sie aus Usbekistan oder der Ukraine. Ihren Kundinnen will die 44-Jährige ein Rundumpaket bieten – mit Kleid, Make-up, Frisur. Im Erdgeschoss ließ sie Kosmetiktische aufbauen, die Spiegel umgeben von leuchtenden Rahmen, wie in einer Künstlergarderobe. Mit einem Bindfaden, in den sie eine Schlaufe geknotet hat, zupft eine der sieben Angestellten einer Kundin gerade feine Härchen von der Wange. „Das macht die Haut schön glatt“, sagt die Chefin.
Bildergalerie: Mutige Start-up-Gründerinnen in Tadschikistan
Tojieva, eine kräftige Frau mit leiser Stimme, wagte ebenfalls erst vor kurzem den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie nahm einen Kredit auf und investierte ihre gesamten Ersparnisse. Bis das Geschäft etwas abwirft, lebt die Familie vom Einkommen ihres Mannes, der einen Geschenkeladen betreibt. Dass ihr Mann auch seine Schwestern unterstützen muss, macht die Sache nicht einfacher. Immerhin, bislang läuft es gut für Tojieva. Jeden Tag kommen im Schnitt drei Kundinnen, die jeweils etwa 250 Euro ausgeben.
Hochzeiten sind eine große Sache in Tadschikistan. So groß, dass die Regierung die Zahl der Gäste auf 150 begrenzte – zu oft verschuldeten sich Familien mit einem Fest, das über ihre Verhältnisse ging. Tojieva ist sich dessen bewusst. „Ich möchte jeder Frau etwas anbieten, das zu ihr passt.“ Das teuerste Kleid – fast 450 Euro Leihgebühr – bleibt denn auch meistens im Laden. Ein Kleid kaufen, das können sich hier nur die wenigsten leisten. Zumal es für eine Hochzeit gleich drei Outfits braucht: eines für die Vorab-Feier, eines für das Fest selbst und eines für den ersten Besuch bei den Eltern der Braut, einen oder zwei Tage nach der Hochzeit.
Große Pläne und viele Herausforderungen
Ganz zufrieden ist Tojieva noch nicht. Es ist heiß in ihrem Hochzeitsparadies. Draußen sind es 40 Grad und die Ventilatoren, die sie in den weitläufigen Räumen aufgestellt hat, kommen gegen die Wärme nicht an. Eine Klimaanlage bräuchte sie, außerdem einen Kühlschrank mit Getränken für die wartenden Ehemänner in spe, aber dafür ist im Moment kein Geld da. „Wir haben große Pläne, aber es gibt so viele Herausforderungen“, sagt sie und wischt sich über die Stirn.
Gründen hat in Tadschikistan, das lange von Planwirtschaft geprägt war, keine Tradition. Bei den Behörden, erzählen Selbstständige, ernten sie oft Stirnrunzeln. „Das schafft ihr sowieso nicht“, laute die Botschaft. Hinzu kommt mangelnde Transparenz bei der Besteuerung und anderen Regelungen. Immer wieder erleben Kleinunternehmer, dass sie Abgaben in nicht nachvollziehbarer Höhe zahlen oder zum wiederholten Mal eine Inspektion durchführen lassen sollen. Die Start-up-Förderung gibt ihnen deshalb auch das Selbstvertrauen, das sie brauchen, um sich gegenüber Behördenvertretern zu behaupten.
Neue Ideen für Tadschikistan
Mehr als 3.000 Unternehmen wurden seit 2011 mit Unterstützung der GIZ gegründet, rund 40 Prozent von Frauen. Etwa 6.000 neue Jobs sind entstanden. Das Programm wird im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt, das britische Ministerium für internationale Entwicklung beteiligt sich an der Finanzierung. Neben den Start-ups fördert das Projekt den Dialog zwischen Unternehmen und Verwaltungen sowie die Wirtschaftsbeziehungen zu den Nachbarländern Afghanistan und Kirgisistan. Zum Programm gehören auch die Beratung von Ministerien und Institutionen und die Unterstützung eines Beratungsdienstes für Landwirte. Deren Erträge sind um ein Viertel gestiegen.
Ein Vorort von Chudschand, Tadschikistans zweitgrößter Stadt, ganz im Norden des Landes. Auch für Gründerin Anzhela Sarkisyan waren die Kurse ein Aha-Erlebnis. „Früher habe ich gedacht, ich könne nichts anderes als unterrichten“, sagt die 36-Jährige. Heute leitet sie ihre eigene Vorschule.
Nach und nach kommen an diesem Morgen die Kinder durch das Holztor. Sie verabschieden sich von ihren Eltern, ziehen die Schuhe aus und betreten das frühere Wohnhaus, das Sarkisyan zum Lernort umwandelte. Alles ist bunt hier, die Regale sind voller Bücher und Spielzeug. Um die Schüler zu begrüßen, muss Sarkisyan sich über ihren Babybauch beugen – sie erwartet das vierte Kind. Mehri Yusupova, eine der Lehrerinnen, nimmt die älteren Kinder mit in ihren Klassenraum, wo sie sich an niedrige Zweiertische setzen. Englischunterricht. „What is the capital of Great Britain?“, fragt Yusupova und kleine Zeigefinger schnellen nach oben.
Förderung für die Gewinner eines Gründerwettbewerbs
Sarkisyan, Sonnenbrille im Haar, steht in der Tür und lächelt. Bevor sie Bildungsunternehmerin wurde, arbeitete sie zehn Jahre lang als Kindergärtnerin. Was sie erlebte, machte sie nachdenklich. „Die staatlichen Kindergärten sind überfüllt, eine Vorbereitung auf die Schule ist dort nicht möglich.“ Viele Eltern zahlten ihren Kindern später teuren Nachhilfeunterricht, damit sie die Anforderungen bewältigen können.
Als Sarkisyan im Sommer 2014 von einem Gründerwettbewerb der GIZ erfuhr, reichte sie gleich ihre Bewerbung ein. Sie nahm an Trainings teil und präsentierte vor der Jury ihr Konzept. Am Ende gehörte sie zu fünf Gewinnern, die eine Förderung bekamen. „Ich will die Talente der Kinder offenlegen“, sagt sie über ihre Philosophie. Ihren 30 Schülern bieten sie und die vier angestellten Lehrerinnen neben den üblichen Fächern deshalb Schach- und Theaterkurse an.
Neue Talente entdeckte Sarkisyan auch an sich selbst: „Ich wusste nicht, dass ich diese organisatorischen Fähigkeiten habe. Jetzt bin ich sicher, dass ich noch mehr erreichen kann.“ Die Eltern ihrer Schüler fragten häufig, ob sie nicht auch für die jüngeren Geschwister etwas anbieten könne. Neben der Vorschule ein eigener Kindergarten? Ja, vielleicht macht sie das als Nächstes.
> Ansprechpartner: Hagen Ettner hagen.ettner@giz.de
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