Gastbeitrag: Afrika

Die Fische füttern

Jowhor Ile ist ein nigerianischer Autor. Er schreibt poetisch, zugleich politisch über die Lebensbedingungen in Afrika.

Text
Jowhor Ile

Ein Ausgeh-Abend in Port Harcourt beginnt häufig mit einem kleinen Festmahl aus gegrilltem Fisch – dampfend heiß, lecker scharf gewürzt und in Alufolie eingewickelt. Neben dem Ruf als nigerianische Öl-Hauptstadt bleibt Port Harcourt – zumindest meiner Meinung nach – die Meeresfrüchte-Hauptstadt des Landes. Sie liegt unweit des Flusses Niger – dort, wo sich sein Wasser auf dem Weg zum Atlantischen Ozean in ein breites Delta aufteilt. Es gibt kaum ein Gericht hier ohne irgendeinen Fisch, Uferschnecken, Krebse, Garnelen, Muscheln oder Wasserschnecken. Allerdings sind manche Flüsse durch Ölbohrungen verseucht, die Fische darin vergiftet, ihre Vorkommen dras­tisch reduziert.  

Im vergangenen August ging ich mit drei Freunden in ein Open-Air-Restaurant. Wir saßen in der warmen Nacht, genossen den Fisch und die leichte Brise, vor uns eine Platte mit Wels, der in einer scharfen Soße mariniert und langsam über einem offenen Feuer gegart worden war. Wir langten ordentlich zu. Ich überlegte, noch eine zweite Platte zu bestellen, fragte dann aber zuerst nach dem Preis. Er hatte sich seit unserem letzten Besuch verdoppelt.

„Für ganz normalen Fisch?“, beklagte sich mein Freund Adi bei der Kellnerin, die mit den Achseln zuckte. Wir wussten nur zu gut, dass Wels zwar in Nigeria vor Ort gezüchtet wird, aber die Hauptzutaten für das Fischfutter aus dem Ausland kommen. Der Fall des Ölpreises und der daraus folgende Wertverlust des Naira haben Devisengeschäfte für Fischzüchter teuer gemacht; einige mussten ihre Farmen aufgeben. „Aber wieso können wir keine Fischfutter-Fertigmischungen produzieren?“, fragte Sodi und bestellte aus Frust eine neue Runde Bier. „Wie schwierig ist es, Mischungen aus Vitaminen, Antioxidationsmitteln und Futtermittelzusätzen herzustellen?“

Der Abend kam langsam auf Touren. Die vorwurfsvolle Frage, die angespannte Atmosphäre – das war mir nur allzu bekannt: Wann immer Nigerianer zusammentreffen (wo auch immer auf der Welt), kommen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir unser Land verstehen wollen, vor allem, was alles nicht funktioniert. Wir analysieren unsere Lage und versuchen Lösungen zu finden. Es ist wirklich zum Rasend-Werden. Wenn Fisch ein so wichtiger Teil unseres Speiseplans hier ist, warum versuchen wir nicht, mehr Kontrolle über seine Herstellung zu erlangen?

Es blieb Tombari, der bis dahin still gewesen war, vorbehalten zu sagen, wir bräuchten Strukturen, Institutionen, die funktionieren; in diesem Fall gut ausgerüstete und ausreichend finanzierte Labore für unsere Agrarwissenschaftler. Und so waren wir wieder einmal auf ein allgegenwärtiges Problem zurückgekommen: die Strukturen. Unsere individuellen Talente, unsere Entschlossenheit, Energie, Kreativität, selbst Genialität – all das hat Grenzen.

Die Frage nach der Kontrolle nagte in den darauffolgenden Monaten immer wieder an mir. Wie können wir mehr Kontrolle über die Qualität unserer Existenz gewinnen? Eine leuchtende Zukunft, wie ich sie mir für Nigeria wünsche, ist eine, in der wir davon wegkommen, nur ein „Potenzial“ oder ein Markt zu sein. Wir müssen auch produzieren. Es ist Aufgabe der Regierung, dieses kollektive Streben nach einem besseren Leben zu beflügeln. Und wenn wir es lieben, gegrillten Wels zu essen, dann ist es unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass uns diese kulinarische Freude auch künftig erhalten bleibt.

Jowhor Ile ist ein nigerianischer Autor, der  2016 seinen weithin gelobten Debütroman „And after many days“ veröffentlichte. Er schreibt poetisch, zugleich politisch über die Lebensbedingungen in Afrika.

aus akzente 2/17

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