Porträt

Frieden im Fokus

Suzan Aref hat ihr Leben dem Schutz und der Förderung der Frauen im Irak verschrieben. Wir stellen sie und ihr Wirken vor.

Text: Olivia Cuthbert Fotos: privat

Im April 2014 war Suzan Aref voller Hoffnung. Als erstes Land der MENA-Region hatte der Irak einen Nationalen Aktionsplan (NAP) ausgearbeitet, um die Resolution 1325 umzusetzen. Damit hatte der Irak einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen, denn die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Friedensprozess und ihr besonderer Schutz in Konfliktzeiten erhielten darin erstmals Priorität. Die Menschenrechtsaktivistin hatte darauf drei Jahre lang hingearbeitet und sie war überzeugt, mit diesem Instrument die Gesetzgeber zum Zuhören bringen zu können.

„Die Resolution ist ein starkes Werkzeug. Auf nationaler Ebene wird die Stimme von uns Frauenrechtlerinnen oft nicht gehört, aber sie verschafft uns international Einfluss und Zugang“, sagt Aref, die das Frauen-Friedens-Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen koordiniert hat, das in diesem Prozess eine Pionierrolle spielte.

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Suzan Aref

Die Resolution 1325

Am 31. Oktober 2000 hat der UN-Sicherheitsrat diese wegweisende Regelung einstimmig verabschiedet. Sie fordert alle UN-Mitglieder und allgemein alle Konfliktparteien auf, Frauen gleichberechtigt in Friedensprozesse einzubinden sowie die Geschlechterperspektive in Friedens- und Sicherheitsbemühungen zu berücksichtigen.

Frauenrechte im Irak

Suzan Aref, 1961 in Erbil geboren, erwarb den Bachelor in Betriebswirtschaft und ein Diplom in Management, ehe sie die Women Empowerment Organization (WEO) und das DASPEC Centre for Female Entrepreneurs gründete. Seit ihrer Jugend, als irakische Frauen und Mädchen noch viel mehr Freiheiten genossen als heute, beobachtet sie einen stetigen Abbau von Frauenrechten. „Vor dem Golfkrieg waren Frauen unabhängiger, waren in der Bildung, Gesundheit, Arbeit und anderen Bereichen gleichberechtigt“, sagt sie. Doch eine Reihe von gewaltsamen Konflikten hat diese Freiheiten und den Bewegungsspielraum irakischer Frauen immer weiter eingeschränkt.

Resolution 1325 und ihre Folgen

Bis 2011 hatte Aref noch nie von der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates zu Frauen, Frieden und Sicherheit gehört. Als sie von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak (UNAMI) zu einer Festveranstaltung anlässlich des Jahrestages der Resolution 1325 eingeladen wurde, war sie erstaunt. „Ich habe gefragt, warum wir ein Stück Papier feiern sollten. Was hat die Resolution nach elf Jahren erreicht? Wie ist sie auf die Bedürfnisse von Frauen eingegangen?“ Die Antwort überraschte sie noch mehr. „Sie sagten: ,Hier ist die Resolution, und Ihre Aufgabe ist, sie in einen Plan mit politischen Vorgaben für Ihr Land zu überführen.‘ Und das habe ich dann getan“, erinnert sich Aref, die sich ihr gesamtes Berufsleben lang für Frauen und Mädchen im Irak eingesetzt hat.

Instrument für gerechte Teilhabe im Irak

Für die Aktivistin bot die Resolution 1325 die Möglichkeit, die verloren gegangenen Rechte der Frauen im Irak formell zurückzufordern. „Die Resolution hat den Umgang der Vereinten Nationen mit Frauenthemen verändert. Vorher wurden sie nur als Opfer von Konflikten gesehen, jetzt betrachtet man sie als Akteurinnen bei der Friedensschaffung“, erklärt Aref. Deshalb versammelte sie Vertreterinnen von zehn Frauenrechtsorganisationen, um gemeinsam den ersten Nationalen Aktionsplan für den Irak auszuarbeiten. „Lange Zeit wollte die Regierung uns nicht zuhören, aber die Resolution entsprach unseren Forderungen nach spürbarer Teilhabe für Frauen auf allen Ebenen. Endlich hatten wir ein verlässliches Instrument, den politischen Willen zu schaffen, um den Bedürfnissen von Frauen und Mädchen im Irak gerecht zu werden“, sagt sie.

Das Team entwickelte sich zu einer Taskforce mit Vertreter*innen aus verschiedenen Bereichen. Alle arbeiteten entschlossen daran, die Ziele der Resolution umzusetzen. „Wir haben Vertrauen zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft aufgebaut und Frauen, Frieden und Sicherheit ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt“, erinnert sich Aref. „Es war eine sehr schwierige Phase im Irak. Umso höher es ist also zu bewerten, dass wir bei so unterschiedlichen Akteur*innen den politischen Willen schaffen konnten, in einem so zerrissenen Land zusammenzuarbeiten.“

Der zweite Nationale Aktionsplan

Leider war dies nicht von langer Dauer. Schon als der Plan im April 2014 unterzeichnet wurde, gewann ISIS in Teilen des Irak an Boden. Einige Monate später rief der damalige Kopf der Bewegung, Abu Bakr al-Baghdadi, die Gründung eines Islamischen Staates (IS) aus. Der Fokus der irakischen Nation richtete sich auf diese Krise, Frauen rutschten auf der Agenda nach unten. „Politischer Wille ist sehr schwankend. In einem Jahr ist er da, dann passiert irgendetwas und er schwindet“, sagt Aref.

Nach dem Sieg über den IS im Jahr 2017 verlor die neue Regierung das Thema Frauen durch die Wirtschaftskrise, Covid-19 und den Krieg in der Ukraine aus dem Fokus. Die gleichberechtigte Teilhabe verkam laut Suzan Aref zu einer Pflichtübung und mit wenig sinnvollen Veränderungen. Sie bezieht sich auf den neuen, zweiten Nationalen Aktionsplan, der ihrer Ansicht nach hinter den ersten zurückfällt.

Schwere Rückschläge für Frauenrechte

Sie bedauert den Umstand, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen nicht mehr in die Entwicklung des zweiten Aktionsplanes eingebunden waren, der im Jahr 2019 den ersten ablöste. Aref weigerte sich, mitzuwirken: Der Prozess sei symptomatisch für den abnehmenden Spielraum der Zivilgesellschaft im Irak, wo besonders Frauenrechte im letzten Jahrzehnt schwere Rückschläge erlitten hätten. „Als Frau spüre ich, wie wir im Irak gerade marginalisiert werden. Es macht mich wütend. Sie kümmern sich nicht um das Leid von Frauen, weil Frauen nicht mehr am Entscheidungsprozess teilhaben“, sagt sie. „Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und starke Institutionen, die sich für weibliche Teilhabe einsetzen.“

Aref widmet auch ihr künftiges Berufsleben der Umsetzung der Resolution 1325. Denn nur wenn Frauen gleichberechtigt an Gesellschaften teilhaben, sind ihre Rechte geschützt vor politischen Umwälzungen und wechselnden Prioritäten. „Ohne gleichberechtigte Teilhabe kann es keinen Frieden und keine Sicherheit geben. Deshalb profitieren davon nicht nur Frauen, sondern die Gesellschaft als Ganzes.“

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Suzan Aref