Erklärt

Drei Krisen, eine Lösung 

Warum eine intakte Natur bei diversen Herausforderungen helfen kann. Ein Beitrag von Kirsten Hegener, Leiterin des GIZ-Kompetenzzentrums für Biodiversität, Wald und Landwirtschaft. 

Wir leben in herausfordernden Zeiten: Gleich mehrere große Krisen beschäftigen und belasten derzeit die Welt. Und damit ist noch nicht einmal der Krieg in der Ukraine gemeint, der seine ganz eigenen Härten und Folgen mit sich bringt. Sondern es geht um diverse langfristige Krisen, die wir bewältigen müssen – den Klimawandel, die unsichere Ernährungslage und den rasanten Verlust an Biodiversität. Diese drei sind eng miteinander verwoben, sie bedingen und beeinflussen sich gegenseitig – und sie sind für die Menschheit lebensbedrohlich: Finden wir keine Lösungen beziehungsweise nicht die Kraft, als richtig erkannte Wege tatsächlich einzuschlagen, dann stoßen wir als Menschen bald an die Grenzen unserer Existenz.  

Biodiversität: Voraussetzung für alles andere

Keine dieser Krisen ist schlimmer als die andere, wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen. Aber ohne eine intakte Natur wird es schwierig, die anderen Probleme zu lösen. Sie ist gewissermaßen eine Grundvoraussetzung, um alle drei Krisen in den Griff zu bekommen. Doch der Trend zeigt in die umgekehrte Richtung: Mehr als die Hälfte aller natürlichen Ökosysteme ist bereits zerstört, eine Million von acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht. 

Verlieren wir diese Arten wirklich in den nächsten Jahren, dann fehlen zum Beispiel wichtige Bestäuber wie Vögel oder Insekten. Dabei wissen wir, dass ein Großteil unseres Essens von Pflanzen kommt, die durch Tiere bestäubt werden. Diesen drohenden Schwund können wir uns nicht leisten, schon gar nicht jetzt, da die Zahl der Hungernden im Zuge der Corona-Pandemie wieder gestiegen ist. 

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Drei Krisen, eine Lösung 
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Kirsten-Hegener

„Allein 2021 hat die GIZ mit weltweit mehr als 110 Projekten zu den Zielen der Biodiversitätskonvention beigetragen.“ 

Kirsten Hegener
Leiterin des GIZ-Kompetenzzentrums für Biodiversität, Wald und Landwirtschaft

Inzwischen ist knapp ein Drittel der Weltbevölkerung nicht gut und sicher genug ernährt; 2014 waren es noch 22 Prozent. Die Pandemie hat eine ohnehin schwierige Entwicklung also zusätzlich verschärft. Aber auch Covid-19 hat seinen Ursprung wahrscheinlich im rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Nach allem, was wir wissen, kam die Erkrankung durch das Überspringen eines Erregers von Tieren auf den Menschen zustande, möglicherweise von Fledermäusen über das Schuppentier zu uns. Ein vermehrter Übersprung infektiöser Erreger geht wesentlich auf eine veränderte Landnutzung von Naturräumen, fortschreitende Umweltzerstörung und den Verlust der biologischen Vielfalt zurück, da sich dadurch die Kontakte von Menschen, Tieren und Mikroorganismen erhöhen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass viele unserer heutigen Herausforderungen am Ende einen Ursprung haben: den Verlust an Arten und Natur.

Noch zu wenig Aufmerksamkeit für den Naturschutz

Ähnliches gilt auch für den Klimawandel. Er wird zwar maßgeblich durch das Verbrennen fossiler Energieträger angeheizt, aber die Natur kann diesen Effekt abmildern. Nach einer gemeinsamen Berechnung des Weltklima- und des Weltbiodiversitätsrats (IPCC und IPBES) nehmen Pflanzen, darunter vor allem Wälder, sowie Moore und Meere etwa die Hälfte des vom Menschen ausgestoßenen CO2 auf – und zwar auf natürliche Weise. Je mehr Wälder für landwirtschaftliche Aktivitäten abgeholzt, je mehr Moore trockengelegt werden, desto weniger dieser natürlichen Speicher bleiben, um die Erderwärmung zu bremsen. Die Natur stiftet also auf vielerlei Weise Nutzen. Steht sie aber selbst unter Druck, kann sie dieser Funktion nicht mehr ausreichend nachkommen. 

Allerdings schenken wir dem Schwund an Biodiversität unter den aktuellen Krisen bisher die geringste Beachtung. Mit Hunger beschäftigen wir uns schon lange und er wurde während der Pandemie noch stärker zum Thema. Der Klimawandel ist sowieso in aller Munde und zu einem unserer wichtigsten Anliegen geworden. Aber den Naturverlust haben wir noch nicht genügend als Herausforderung verinnerlicht. Das mag daran liegen, dass sich der Prozess schleichend vollzieht und im Moment noch nicht so sehr „wehtut“. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem die Krise eigentlich schon massiv ist, wir aber die langfristigen Folgen noch nicht spüren. Und das ist gefährlich. 

Hoffnung auf die COP15

Da der größte Teil der reichen Biodiversität in Ländern des Globalen Südens liegt und sie Unterstützung beim Naturschutz benötigen, ist das Thema auch für die GIZ relevant. Und das schon länger: Allein 2021 hat die GIZ mit weltweit mehr als 110 Projekten zu den Zielen der Biodiversitätskonvention beigetragen. Das Volumen neuer Projekte lag in jenem Jahr bei 290 Millionen Euro. 

Dazu gehören das Ausweisen oder der Erhalt von Schutzgebieten, etwa im südlichen Afrika, oder Maßnahmen für mehr Bodenfruchtbarkeit, zum Beispiel in Äthiopien. Es geht aber auch um agrarökologische Ansätze in Indien, bei denen nachhaltig gewirtschaftet wird, denn die Landwirtschaft übt weltweit den größten Druck auf die Biodiversität aus. Wichtig ist der GIZ zudem der Aufbau von entwaldungsfreien und nachhaltigen Lieferketten, etwa in Indonesien. 

Die Palette ist breit, das Portfolio in den letzten Jahren leicht gewachsen – es gibt aber noch „Luft nach oben“, zum Beispiel bei der Berücksichtigung der Biodiversität in anderen Sektoren: Infrastruktur, Energie, Städte. Ich hoffe sehr, dass Biodiversität in den nächsten Jahren bei unserer Arbeit an Bedeutung zunehmen wird. Erst recht, wenn die Vertragsstaaten in Montreal starke und ambitionierte Beschlüsse fassen. Und das ist zu wünschen – die multiplen Krisen erfordern es.