Interview: Jugend

Vor allem fehlt Arbeit

Der Jordanier Ahmad Alhendawi, geboren 1984, ist der erste UN-Jugendgesandte in der Geschichte der Weltorganisation – und steht damit selbst für eine Demografie im Wandel. Ein Gespräch über die drängenden Anliegen seiner Generation.

Text
Friederike Bauer

[caption caption="Jugendgesandter der Vereinten Nationen: Ahmad Alhendawi (Foto: UN Photo/Mark Garten)"] Ahmad Alhendawi[/caption]

Sie sind der Gesandte für etwa 1,8 Milliarden junge Menschen. Das klingt nach viel Verantwortung. Wie schaffen Sie es, eine derart heterogene Gruppe angemessen zu repräsentieren?
Es ist tatsächlich eine enorme Verantwortung, Gesandter für die größte Generation junger Menschen zu sein, die es je gab. Ich nehme nicht in Anspruch, für alle 1,8 Milliarden zu sprechen, weil das letztlich unmöglich ist. Ich versuche aber, ihre Interessen zu vertreten. Diese Generation sollte besser wahrgenommen, repräsentiert, gehört werden. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ihre Anliegen Eingang in die Arbeit der Vereinten Nationen finden. Ich sehe mich als ihr Sprachrohr. Umgekehrt hoffe ich, ihnen Zugang zu mehr Teilhabe in internationalen Angelegenheiten zu ermöglichen. Gerade haben wir das erste Globale Forum für Jugendpolitik abgehalten, bei dem 700 Minister und Jugendexperten aus 165 Ländern zusammenkamen. Zuvor haben wir den „Global Youth Call“ entwickelt. 1.700 Jugendorganisationen haben ihn unterzeichnet und damit bekräftigt, welche Inhalte aus ihrer Sicht in die Post-2015-Agenda gehören. Das hat es nie zuvor gegeben.

Junge Menschen kämpfen mit Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven. Wächst da wirklich gerade eine „verlorene Generation“ heran?
Ja. Es ist eine verlorene Generation in dem Sinne, dass jungen Menschen die Chancen zur vollen Entwicklung ihres Potenzials vorenthalten werden. Sie leiden vor allem unter einem Mangel an beruflichen Möglichkeiten. Der Übergang von der Schule in den Beruf ist für viele problematisch. Weltweit sind 75 Millionen junge Menschen ohne Job, aber nach unseren Schätzungen sind etwa 500 Millionen unterbeschäftigt. Das bedeutet, dass wir in den kommenden 15 Jahren rund 600 Millionen Arbeitsplätze für junge Menschen brauchen werden.

Ansätze für verschiedene Formen von Arbeitslosigkeit

Einige sehen eine mögliche Lösung in der Bildung, andere im Unternehmertum.
Die eine Lösung gibt es nicht. Wenn Sie mit Bildungsexperten sprechen, wird deren Lösungsansatz Bildung sein. Finanzexperten nennen den Zugang zu Krediten. Arbeitsmarktexperten betonen die Notwendigkeit, das Arbeitsrecht zugunsten der Jugendlichen zu verändern. Investoren finden, Kleinunternehmen sollten gestärkt werden. Ich denke, das ist alles richtig, aber die Ansätze müssen an die verschiedenen Formen von Arbeitslosigkeit angepasst sein. In Afrika etwa könnten mit höheren Investitionen in Landwirtschaft und Infrastruktur Millionen Jobs geschaffen werden. Regierungen weltweit müssen also die Initiative ergreifen und der Jugend sowie Investitionen in die Jugend Vorrang einräumen.
 
In Deutschland betrachten wir vor allem das duale Ausbildungssystem als Antwort.
Ich halte das deutsche Modell für eines der besten der Welt. Die vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist auch auf das duale System zurückzuführen. Ich bin überzeugt, dass es als Vorbild dienen kann. Damit meine ich nicht ein einfaches Nachahmen, nötig ist vielmehr harte Arbeit. Die Umsetzung verlangt solide Investitionen und langfristige Verpflichtungen des öffentlichen Sektors und der Privatwirtschaft, aber das ist es definitiv wert.

Bildung, Beschäftigung und Teilhabe

Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen junge Menschen heute?
Neben Bildung und Beschäftigung ist Teilhabe die große Herausforderung. Junge Menschen interessieren sich für Politik, aber nicht zwangsläufig für politische Institutionen. Sie leben im digitalen Zeitalter, während die Institutionen oft in der analogen Ära verharren. Ihr Lebensstil unterscheidet sich fundamental von dem jener, die an der Macht sind. Sie möchten zum Beispiel nicht acht Stunden anstehen, um zu wählen, wenn sie das binnen Sekunden elektronisch erledigen könnten. Wenn wir junge Menschen beteiligen wollen, müssen wir die Zugänge modernisieren. Denn die jungen Menschen sind es, die den Wandel voranbringen, den wir brauchen, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen.

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