Erklärt

Schnell und flexibel

Wie die GIZ mit der strukturbildenden Übergangshilfe arbeitet und warum sie als Brücke zwischen Nothilfe und klassischer Entwicklungszusammenarbeit immer wichtiger wird.

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Kristian Lempa
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Julian Rentzsch

Kristian Lempa

  KRISTIAN LEMPA  

ist Gruppenleiter Übergangshilfe bei GloBe in der Abteilung Krisen- und Konfliktmanagement, Migration, Bauen

Vor einigen Monaten wurde im irakischen Mosul ein Krankenhaus eingeweiht. Und zwar dort, wo der IS seine Kommandozentrale hatte; wo Menschen gefoltert und missbraucht wurden. Ganz bewusst erhielt das Gebäude genau an dieser Stelle seinen neuen Standort – als Signal an die Bevölkerung, dass die Gräuel vorbei sind und sich die Zeiten ändern.

Jetzt befindet sich dort ein medizinischer Komplex, das Surgical Teaching Hospital „Al Jamhouri“, gebaut aus gebrauchten Schiffscontainern, aber voll funktionstüchtig, mit Operationssaal, Intensivstation, HNO-Abteilung, 150 Betten und einigem mehr. Die angeschlossene Polyklinik kann täglich mehr als 1.500 Patient*innen versorgen. Begleitet hat den Bau die GIZ mit der strukturbildenden Übergangshilfe, dem Krisenbewältigungsinstrument des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Nicht immer sind unsere Einsätze so spektakulär und symbolträchtig wie in Mosul, aber immer schlagen wir eine Brücke von einer akuten Krise zu neuen Zukunftsperspektiven, von der Nothilfe, die unmittelbare Bedürfnisse einer Bevölkerung deckt, hin zu langfristiger internationaler Zusammenarbeit.

Mit der wachsenden Zahl an fragilen Situationen, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist der Bedarf dafür gewachsen. Zwei Drittel der GIZ-Kooperationsländer sind von Krisen, Gewalt und Konflikten geplagt. Dazu kommen Naturkatastrophen in Form von Dürren oder Fluten, die mit dem Klimawandel noch weiter zunehmen werden.

„Mit der Übergangshilfe schlagen wir eine Brücke von einer akuten Krise zu neuen Zukunftsperspektiven.“

Ob im Jemen oder Afghanistan, im Irak oder Syrien, am Horn von Afrika, dem Sahel oder demnächst wahrscheinlich auch in der Ukraine – die Verhältnisse unterscheiden sich, aber das Ziel bleibt immer dasselbe: Wir entwickeln aus der kurzfristigen eine mittelfristige Perspektive, die dann hoffentlich in eine langfristige Entwicklung und bessere Lebensverhältnisse übergeht.

Oder um es plastischer auszudrücken: Wenn eine Flut kommt und lokalen Fischern Steg, Boote, Netze und Angeln wegspült, versorgt die humanitäre Hilfe sie und ihre Familien mit Essen. Ein, zwei, drei oder auch dreißig Tage. Irgendwann versiegt dieser Strom internationaler Zuwendungen, aber Boot und Ausrüstung sind noch nicht wieder da; die Fischer haben weiterhin kein Auskommen. Wir arbeiten weniger mit Regierungen in der Hauptstadt, sondern mit den Betroffenen vor Ort, der lokalen Regierung und der Zivilgesellschaft. Wir schauen zusammen mit Autoritäten und sozialen Trägern, was die Fischer brauchen und gehen das gemeinsam an. Wenn es nötig ist, bauen wir zusammen einen neuen Bootssteg, vielleicht sogar einen kleinen Hafen. Wir sorgen dafür, dass die Fischer wieder aufs Meer fahren und für ihr Überleben selbst sorgen können. Aber die Regeln fürs Fischen, die Lieferketten bis zum Markt und die Organisation der Fischerkooperativen, also die institutionellen Rahmenbedingungen, die schaffen wir nicht. Hier kommt die reguläre Entwicklungszusammenarbeit ins Spiel.

Task Force Krise

Für solche Einsätze braucht es einen hohen Grad an Flexibilität; das funktioniert, weil wir nicht an einen Sektor gebunden sind. Krisen haben meistens verschiedene Ursachen. Entsprechend muss häufig an mehr als einer Stelle angesetzt werden. Wir arbeiten in gewisser Weise wie eine Task Force Krise: bei Bedarf passen wir unsere Maßnahmen immer wieder den sich wandelnden Gegebenheiten vor Ort an.

Dafür schicken wir eigene Leute in die jeweilige Krisenregion – internationale und nationale, je nach Bedarf. Im Moment haben wir zirka 30 Projekte in einem Gesamtwert von circa 520 Millionen Euro. Tendenz steigend. Unser Aktionsradius endet dort, wo unmittelbar gekämpft wird. Doch in jedem Krisenland gibt es auch Gebiete ohne direkte militärische Auseinandersetzung, dort könnten wir uns engagieren und schon wieder Strukturen schaffen.

Standen bisher vor allem Infrastrukturprojekte und Friedensförderung im Vordergrund, wird es künftig zusätzlich um Ernährungssicherung gehen. Dann besteht unsere Aufgabe darin, alles Nötige zu veranlassen, dass Bäuerinnen und Bauern auch in Krisenzeiten säen und später Ernten einfahren können. Hier sehen wir generell erheblichen Bedarf und damit ein großes Feld für uns. Denn es ist entscheidend, potenzielle Verteilungskämpfe frühzeitig zu entschärfen: Die strukturbildende Übergangshilfe leistet einen wichtigen Beitrag in der Folge von Konflikten, aber vor allem hilft sie auch dabei, neue zu vermeiden – die Brücke funktioniert in beide Richtungen.

Juni 2022