Essay wiegt. Ich bin überzeugt, dass sich (schnel- le) Urbanisierung auch so organisieren lässt, dass sie der städtischen Mehrheitsgesellschaft nützt. Aber dann muss sie auf den Menschen bauen, vor allem auf die so oft ignorierte Mehrheit der Bevölkerung. Neue „Smart Ci- ties“ werden nicht viel verändern, solange die alten Viertel in Mangel und Elend versinken. Genauso wenig werden unkoordinierte poli- tische Maßnahmen von oben oder vereinzelte Aktivitäten von unten viel ausrichten. In allen Städten, die ich kenne, hat sich gezeigt, dass Stadtplanung immer am meisten erreicht, wenn sie von gewöhnlichen Bür- gern, lokalen Behörden, Politikern, Akteuren der Zivilgesellschaft, freien Trägern und Uni- versitäten gemeinsam erarbeitet wird. Weil dann die tatsächlichen Lebensbedingungen und Wünsche der Mehrheit im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Das bedeutet aber auch, dass die Vertreter lokaler Behörden die Ärmel hochkrempeln und sich die Finger schmutzig machen müssen. Sie sollten den Kontakt mit den Menschen suchen, um de- ren Lebenswirklichkeit zu begreifen. Sie fra- gen, wo der Schuh drückt, und sie an der Su- che nach Lösungen beteiligen. Letztlich geht es um nichts weniger als eine fundamentale Demokratisierung der Stadtplanung. Zweitens braucht es nachhaltige Finan- zierungen, um Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistungen zu ermöglichen. Dafür müssen die Behörden ausländische Investiti- onen in Stadtentwicklungsprojekte, die der- zeit exponentiell wachsen, unter Kontrolle bringen und in die richtigen Bahnen lenken. Auf lokaler Ebene bieten sich hierfür Misch- finanzierungen an – kommunale Mittel ge- paart mit sozialverträglichen Investitionen privater Geldgeber. Außerdem sollten die lokalen Verwaltungen konsequent Steuern und Abgaben auf Grundbesitz und Immo- bilien erheben und eintreiben. Es versteht sich von selbst, dass diese Mehreinnahmen dazu dienen sollten, die Probleme der be- nachteiligten urbanen Mehrheit zu lösen. Drittens stellt sich die Frage, wer die afrikanischen Städte der Zukunft planen soll. Es fehlen offiziell zugelassene Stadt- planer; in Uganda zum Beispiel gibt es pro 463.102 Einwohner einen. Dieser Mangel muss behoben werden, indem man in die entsprechenden Studiengänge investiert, und zwar in die Infrastruktur, in Lehrpläne, und indem man sie „indigenisiert“, also den Realitäten afrikanischer Urbanisierung an- passt. Und viertens sind Schutzrechte gegen den Landraub der Eliten notwendig. Kurz gesagt, stelle ich mir die zukünf- tige afrikanische Stadt so vor, dass sie zum Wohl ihrer Bevölkerung plant und handelt, vor allem zum Wohl ihrer ärmsten und ver- letzlichsten Mitbürger. Ein Accra zum Bei- spiel, wo Wachstum nicht Chaos bedeutet, Verdichtung nicht Verwirrung. Eine Stadt, wo der Verkehr mit Hilfe von Schnellbus- sen und Stadtbahnen wohlorganisiert fließt; wo bezahlbarer Wohnraum gefördert und in Zusammenarbeit von Bürgern und Regie- rung errichtet wird; wo angemessene Infra- struktur zur Verfügung steht; wo lokale Ini- tiativen nicht ignoriert, sondern unterstützt werden. Eine Stadt, wo Grünflächen und Feuchtgebiete wieder zum Leben erweckt werden. Eine Stadt, in der Träume wahr werden, in der die Bedürfnisse der Mehr- heit die Zukunft bestimmen und nicht die Interessen weniger. Und vielleicht am wich- tigsten: Es braucht einen Perspektiv wechsel weg von hochtrabenden Visionen hin zur urbanen Realität. Damit die schöne afrika- nische Stadt, die es bisher nicht gab, endlich geboren wird. — SETH ASARE OKYERE ist ghanaischer Architekt und Entwicklungsplaner. Er ist spezialisiert auf die nachhaltige und integrierte Stadtentwicklung und hat unter anderem zu „human cities“ publiziert. Kapitalgebern finanziert, die in den wachsenden Städten Afrikas gute Profitmöglichkeiten sehen. Bisher lassen sich in Afrika et- wa 70 solcher bereits existierender oder geplanter „Smart Cities“ zählen, darunter Appolonia City (Accra), Eko Atlantic (La- gos, Nigeria), La Cité du Fleuve (Kinshasa, DR Kongo), Roma Park (Lusaka, Sambia), Industriestadt Al-Tajamouat (Kairo, Ägyp- ten) und Sipopo (Malabo, Äquatorial guinea). Die tatsächlichen Projekte sprechen dann allerdings eher die Träume der Oberschicht an als die Bedürfnisse der armen Bevölke- rungsmehrheit. Reiche grenzen sich ab vom Rest der Stadt Oft sind es abgeschlossene Wohnanlagen mit Häusern in ähnlichem Design. Sicher- heit, Instandhaltung und Ordnung sind hier wichtig, um die Viertel vom Rest einer Stadt abzugrenzen. Leider vertreiben diese neuen Siedlungen entweder arme Bewoh- ner von ihrem Land und ihren Einnahme- quellen oder sie nehmen ihnen wegen des Preisauftriebs jede Aussicht auf erschwing- lichen Wohnraum. Es ist paradox, dass diese neuen Modellsiedlungen für wenige Privilegierte „smart“ sind, während etwa in Accra zugleich mehr als 70 Stadtviertel als Slums gelten. Die Zukunft der rasch wachsenden Städte Afrikas ist mithin wie eine umkämpfte Straße: getrennte, bedrohte und unterver- sorgte Gemeinschaften (fragil) auf der einen Seite; lokale partnerschaftliche Initiativen (agil) auf der anderen. Die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, welche Seite gewinnt, ob Fragilität oder Agilität über- ) 9 2 . S ( T A V I R P : O T O F akzente 2/20 29