Frieden leben INTERVIEW STEPAN UNCOVSKY GIZ-Landesdirektor in Kolumbien Wie kann die GIZ die Friedensarbeit in Kolumbien unterstützen? Deutschland wird im Friedensvertrag explizit als unterstützender Partner bei der Umsetzung des Friedensabkommens genannt. Wir fördern mit unseren Programmen zur Friedensarbeit die Auf- arbeitung der Vergangenheit, die Suche nach den etwa 100.000 Vermissten und die Übergangsjustiz. Aber auch andere Initiati- ven, etwa aus dem Wirtschaftsbereich, tragen zur Friedensarbeit bei: zum Beispiel, wenn Arbeitsplätze in ländlichen Regionen ge- schaffen werden. Denn dort hatte der Konflikt seinen Ursprung. Was sind die größten Herausforderungen? Kolumbien gehört nach Syrien zu den Ländern mit der höchsten Anzahl von Binnenvertriebenen, sieben bis acht Millionen Men- schen. Auch da versuchen wir, im Rahmen der „Sonderinitiative Flucht“ zu helfen und den Menschen Arbeits- und Einkommens- perspektiven zu bringen. Und damit Bedingungen für ein konflikt- freies Miteinander zu schaffen. Die Regierung versucht, den Friedensprozess voranzutreiben. Doch die Bewältigung der Ver- gangenheit ist kompliziert. Ziel unserer Projekte ist es deshalb oft, durch eine Verständigung innerhalb der Zivilgesellschaft den Grundstein für ein gutes Miteinander zu legen. Worüber wir uns besonders freuen, ist, wenn wir nach Gesprächen aus ehemali- gen Konfliktregionen die Rückmeldung bekommen, dass die Menschen unsere Unterstützung für friedliches Zusammenleben schätzen. Kolumbien hat drei Millionen Menschen aus Venezuela aufgenom- men. Was bedeutet das für die Arbeit der GIZ? Wenn wir den Friedensprozess effizient unterstützen wollen, müs- sen wir auch den Migranten helfen. Denn sie sind billige Arbeits- kräfte – etwa für den illegalen Koka-Anbau. Die bewaffneten Gruppen rekrutieren ebenfalls unter den Flüchtlingen. Es ist kein Zufall, dass die größte Guerillagruppe ELN die Zahl der Kämpfer*innen in eineinhalb Jahren auf 4.000 verdoppelt hat. Um den ersten Hunger und die Versorgung kranker Neuankömmlinge kümmern sich Staat und andere Organisationen. Wichtig ist in Er- gänzung eine sozioökonomische Integration und da gehören wir zu den wenigen, die dort ansetzen. Wir versuchen, für die Flüchtlinge mit den aufnehmenden Gemeinden Perspektiven zu schaffen. akzente 2/19 15 den, als wären sie Müll. Aber auch davon, dass sie eine neue Genera- tion sind, die in Frieden leben will. Das Kollektiv organisiert Work- shops an Schulen und Kulturzentren in der Region. Pepe beschreibt die drei Hauptziele: „Opfer müssen Namen bekommen, sie dürfen nicht nur eine Nummer in der Statistik sein. Die Jugendlichen müs- sen Lust bekommen, zu lernen, und einsehen: Das ist der Weg. Und sie müssen verstehen: Was passiert zurzeit in meiner Region – und warum?“ Die Grenzregion zu Venezuela gehört zu den Hauptanbau- gebieten von illegalem Koka in Kolumbien und ist immer noch eine stark umkämpfte Region. Guerillagruppen, Drogenkartelle und Para- militärs wollen die Schmuggelrouten kontrollieren und sich die Vor- herrschaft sichern. Auf die Frage, ob die Arbeit für den Frieden in die- sem Umfeld nicht gefährlich sei, meint Pepe: „Wir werden nicht als Gefahr wahrgenommen, wir gelten als die verrückten Künstler.“ „Mein Opa wurde bei der Ernte getötet“ Wie komplex es ist, sich in Kolumbien mit dem gewaltsamen Konflikt zu beschäftigen, zeigt auch eine Unterrichtsstunde an der Schule Pu- ente Amarillo. Eine Lehrerin fordert die Jugendlichen zunächst auf, sich in zwei Reihen aufzustellen und Paare zu bilden: Original und Spiegel. Kratzt sich das Original am Ohr, macht es der Spiegel nach. Reibt es sich den Bauch, tut es der Spiegel nach. Einige lachen, andere sehen genervt aus, weil die Übung nicht synchron funktioniert. „Seht ihr? Wir können nicht koordiniert handeln, ohne miteinander zu sprechen“, sagt die Lehrerin. „Jeder von uns ist anders, hat andere Er- fahrungen im Leben gemacht.“ Das Rollenspiel war Einstieg zu einem Gespräch über die eigenen Erinnerungen: Wer bin ich? Was habe ich erlebt? Damit die Mädchen und Jungen verstehen, dass jede und jeder von ihnen den gewaltsamen Konflikt ganz unterschiedlich wahrge- nommen hat. Und einander zuhören hilft, den anderen zu verstehen. „Guerilleros haben meinen Opa getötet, als er bei der Ernte war. Sie dachten, er wäre ein Paramilitär. Aber es war eine Verwechslung“, erzählt ein Junge. Ein anderer sagt: „Ich bin froh, dass das Militär zu uns ins Dorf kam und die Guerilla vertrieben hat, sonst hätten sie mich mitgenommen und ich wäre jetzt ein Kämpfer.“ Die Lehrerin lobt, wie die Kinder ihre Erfahrung miteinander teilen: berichten, oh- ne Vorwürfe. Und sie erzählt, wie sie den Mord eines Bekannten durch Paramilitärs mit ansehen musste. „Wir haben alle so viel Grausames erlebt in diesem Land“, sagt die 40-Jährige. Sie möchte nicht mit Na- men genannt werden, weil sie bis heute Angst hat, von dem Erlebten zu berichten. Trotzdem ist sie fest überzeugt: Die Schulen müssen ih- ren Beitrag zur Aufarbeitung leisten. „Deshalb engagiere ich mich auch für den Frieden und bin bei jeder Fortbildung dabei!“ — KAREN NAUNDORF ist Korrespondentin des Schweizer Fernsehens in Südamerika und berichtet regelmäßig aus Kolumbien. THOMAS WAGNER arbeitet als Fotoreporter in Kolumbien.