Das Abc der Sicherheit erfüllen müssen, wo es um klare Befehle und deren strikte Einhal- tung geht, ist ihr Auftreten oft harsch. „Je rücksichtsloser und in- kompetenter die Polizei wahrgenommen wird, desto weniger Ver- trauen haben die Menschen in sie und damit in den Staat. Wenn sich aber Misstrauen gegenüber dem Staat durchsetzt, haben radi- kale, bewaffnete Gruppierungen ein leichtes Spiel“, sagt Georg Fritzenwenger, der das Projekt leitet. Eine gut ausgebildete Polizei ist deshalb ein wichtiger Stabilitätsfaktor in dem Land, das in vielen Provinzen im Kampf mit den Taliban-Milizen steht. Bamiyan je- doch ist anderen Regionen voraus: Dank der Stabilität kann sich die Polizei hier auf Bildung konzentrieren. Einsatz für die Sicherheit bei den Wahlen Noch ist der Anteil von Frauen, die den Alphabetisierungskurs abge- schlossen haben, mit zwei Prozent gering. Doch das Potenzial für den gesellschaftlichen Wandel, das von den jungen Polizistinnen ausgeht, ist hoch, weiß Gulsoom Hosseini. Seit vier Jahren koordiniert sie die Polizei-Alphabetisierungskurse in Bamiyan. Die 28-Jährige hat einen wachen Blick, trägt dezentes Make-up und goldene Armreifen unter den Ärmeln ihrer Uniform. Sie hat die Polizeiakademie in Kabul be- sucht, studiert nun Jura und will ein Vorbild sein. „Wir Frauen sollten genauso problemlos wie Männer an allen Stellen des öffentli- chen Lebens arbeiten können, ob in privaten Organisationen oder in der Regierung“, sagt die Afghanin mit entschlossener Stimme. Dass Frauen schon heute eine wichtige Rolle in der Gesellschaft von Ba- miyan spielen, zeigte sich bei den landesweiten Parlamentswahlen im Oktober 2018: Rund 500 Frauen, die meisten von ihnen Analpha- betinnen, wurden von den bereits geschulten Polizistinnen ausgebil- det, um vor den Wahlbüros Körperdurchsuchungen bei Wähle- rinnen durchzuführen. So trugen sie zum reibungslosen Ablauf des Urnengangs bei. Polizistin Karima Hosseini jedenfalls ist glücklich, ihre Berufung gefunden zu haben. Das Monatsgehalt von 8.000 Afghanis (knapp 100 Euro) ist in Bamiyan ein solides Einkommen. Was sie sich wünscht? „Sicherheit und Bildung für alle Afghan*innen“, sagt sie sofort. „Als Erstes will ich meinen Mitmenschen dienen. Dafür wer- de ich so lange bei der Polizei bleiben, bis sie mich rausschmeißen.“ Sie lacht und deutet auf den leeren Bürostuhl vor ihr, den Chefsessel des Polizeireviers. „Mein Ziel ist es, eines Tages dort zu sitzen. Das Erste, was ich als Polizeichefin tun würde, wäre, Lese- und Schreib- kurse für alle Frauen in der Stadt einzurichten, damit sie in der Ge- sellschaft gestärkt werden.“ — INTERVIEW GEORG FRITZENWENGER Leiter des Programms zur Ausbildung und Alphabetisierung der afghanischen Polizei Herr Fritzenwenger, was wurde mit dem Alphabetisierungspro- gramm bisher erreicht? Dies ist das einzige Programm der GIZ, das in allen 34 afgha- nischen Provinzen präsent ist. Beim Abschluss erhalten die Absolventen ein anerkanntes Zertifikat vom Bildungsministe- rium, das einem Schulabschluss der 3. Klasse entspricht. Der Zugewinn an Selbstbewusstsein und Professionalität ist ein wei- terer wichtiger Erfolgsfaktor. Wie funktioniert bei dieser großen Reichweite die Koordination? Der Schlüssel liegt in der Flexi- bilität und Erreichbarkeit der Alphabetisierungskurse. Die Polizist*innen besuchen die Klassen während ihrer Dienst- stunden, direkt an ihrem Ar- beitsplatz. Das spart Zeit und Wege. Kurse finden momentan in 2.400 Polizeistationen, aber auch auf dem Land an Straßen- checkpoints statt. Wenn in einer Region Bedarf entsteht, meldet sich der oder die Regional- koordinator*in bei der GIZ. So- bald ein Klassenzimmer gefun- den ist, liefern wir umgehend Möbel und Unterrichtsmaterial. Was sind die Herausforderungen? Gerade in instabilen Regionen, wo die Polizei de facto militä- rische Aufgaben übernehmen muss, bleibt das Bewusstsein, dem Bürger zu dienen und Si- cherheit zu gewährleisten, leicht auf der Strecke. Genau dafür entwickeln die Lernenden in unseren Kursen ein Bewusst- sein. Langfristig erhoffen wir uns eine positive Auswirkung auf die Stabilität des Landes. DAS PROJEKT IN ZAHLEN 36.000 Lernende besuchen derzeit 4.800 Kurse des Alphabetisierungsprogramms. MARIAN BREHMER ist freier Journalist mit Leidenschaft für islamische Kulturwelten von der Türkei bis Indien. Er hat Iranistik und persische Sprache und Literatur studiert. Aktueller Lebensmittelpunkt ist Istanbul, für akzente war Brehmer bereits mehrfach in Afghanistan unterwegs. 25.000 Zertifikate wurden bereits an erfolgreiche Absolvent*innen der Grundkurse in ganz Afghanistan ausgegeben. akzente 1/19 17