engagiert die andengipfel am horizont sind in nebel gehüllt. der dauerregen hat den sandweg vor den bunt gestrichenen häusern in la ilusión, einem viertel in der kolumbianischen provinzhauptstadt floren- cia, in eine schlammpiste verwandelt. maría leíver urrego und ihre nachbarn stört das nicht. die 30 frauen, männer und kinder haben die regenschirme aufgespannt und sich in einem kreis aufgestellt. würziger dampf steigt aus den drei kesseln vor ihnen und mischt sich mit den regentropfen. am vormittag haben sie gemeinsam kartoffeln geschält und hühnchen gerupft. jetzt, um die mittagszeit, sprechen sie dankesworte in die runde. „gemeinsam sind wir stark“, sagt urrego, als sie an der reihe ist. dann teilen sie den eintopf miteinander. die rund 400 bewohner von la ilusión leben vor, was in dem von gewalt zerrissenen südamerikanischen land vielerorts noch zu- kunftsmusik ist. ehemalige kämpfer und menschen, die von ihnen vertrieben wurden, leben hier tür an tür. „wir passen aufeinan- der auf“, sagt urrego bestimmt. das hat auch mit dem einige straßen- züge entfernten zentrum der stiftung für versöhnung zu tun. die giz unterstützt des- sen arbeit seit 2015 im auftrag des bundes- ministeriums für wirtschaftliche zusammen- arbeit und entwicklung. in den zweiwöchi- gen fortbildungen des zentrums saßen urrego und ihre nachbarn – opfer und tä- ter – in einem raum, diskutierten, lernten ei- nander kennen und besser verstehen. sozial- arbeiter begleiteten die schwierige annähe- rung der beiden seiten. „vergessen habe ich nicht, aber ich habe verziehen“, sagt die 54-jährige urrego im rückblick. in kolumbien leben weltweit die meis- ten vertriebenen – mehr als in syrien und seinen anrainerstaaten. es ist das traurige unermüdlich: maría leíver urrego, selbst opfer des konflikts, setzt sich für vertriebene ein. am abend näht sie kleider für ein kleines einkommen. erbe eines mehr als 50 jahre währenden konflikts zwischen regierung, „guerilla“ ge- nannten linken rebellen sowie rechten para- militärs. die mitglieder der guerilla kämpf- ten ursprünglich für soziale gerechtigkeit in dem südamerikanischen land, wo die kluft zwischen arm und reich so breit ist wie fast nirgendwo sonst auf dem kontinent. viele guerillakämpfer wurden jedoch selbst zu tä- tern. mehr als acht millionen opfer von ge- walt und vertreibung gibt es offiziell, darun- ter mehr als 200.000 tote und tausende ver- schwundene. die größte gruppe aber bilden die 6,8 millionen binnenvertriebenen. tränen fließen, als sie den tag ihrer vertreibung schildert urrego strahlt güte aus, keine spur von ver- bitterung. sie stammt aus einem dorf vier autostunden südlich von florencia. dort, wo die östliche andenkette in fruchtbare sa- vanne übergeht, hatte ihre familie einen klei- nen hof gepachtet. ihr ältester sohn war beim militär, der zweitälteste polizist. rund 120 hühner und eine kleine schweinezucht gaben ihnen ein auskommen. an einem son- nigen augusttag im jahr 2010 zerstörten re- bellen der größten guerillagruppe die ländli- che idylle, schwer bewaffnete mitglieder der revolutionären streitkräfte kolumbiens, kurz farc. „sie beschuldigten meine söhne, infor- manten zu sein, und wollten sie mitneh- men“, erzählt urrego. ihre stimme bricht für einige sekunden. sie wischt sich tränen aus dem gesicht. noch in derselben nacht brach die familie zu einem gewaltmarsch auf, zwei kleinkinder in den armen. ein freundlicher lkw-fahrer nahm sie mit in die hauptstadt bogotá. sechs monate hausten sie dort – sie- ben personen, drei generationen in einem zimmer. dann hielten sie es nicht mehr aus und zogen nach florencia, wo verwandte sie anfangs unterstützten. florencia ist die hauptstadt der provinz caquetá, einer der historischen hochburgen der farc. dort wüteten die kämpfe beson- ders heftig. drei von vier einwohnern flo- rencias leben nur aus einem einzigen grund hier: sie suchten zuflucht in der großstadt, die durch anonymität und viele nachbarn mehr sicherheit bietet. kolumbiens zukunft bleibt ungewiss: im august 2016 einigten sich farc und re- gierung auf ein historisches friedensabkom- men. anfang oktober lehnte die bevölke- rung den friedensvertrag in einem referen- dum ab. die gegner des vertrages kritisierten, dass die rebellen darin zu nachsichtig behan- delt würden. so sollte etwa die farc zu ei- ner politischen organisation werden, für die in den nächsten jahren parlamentssitze reser- viert werden sollten. der vertrag wurde über- arbeitet und schließlich ende november vom parlament verabschiedet. die regierung von präsident juan ma- nuel santos steht dennoch vor riesigen he- rausforderungen. 2011 brachte er ein opfer- gesetz auf den weg, das als aufbruch in eine neue ära gefeiert wurde. es erfüllte die er- wartungen aber nur teilweise. so geht bei- spielsweise die entschädigung und wieder- eingliederung der vom konflikt betroffenen nur schleppend voran. viele wissen nicht ein- mal, dass sie ein recht auf entschädigung ha- ben, oder sie lassen sich von der bürokratie abschrecken. dennoch erfüllt sich offenbar die hoffnung, dass der krieg zwischen regie- rung und rebellen nach fünf jahrzehnten endlich ein ende findet. das würdigte auch das nobelpreiskomitee: es verlieh santos für seine verdienste im dezember in oslo den friedensnobelpreis. von ohnmacht zu selbstbestimmung das politisch beschlossene muss nun auch in der gesellschaft ankommen: die giz unter- stützt deshalb staatliche und nichtstaatliche institutionen in florencia, ihre arbeit für die opfer enger aufeinander abzustimmen, er- klärt hermán bernal. er und seine kollegen brachten betroffene, stadtverwaltung, op- ferbehörde, nichtregierungsorganisationen und internationale partner wie das flücht- lingshilfswerk der vereinten nationen und akzente 1/17 45