Chile

Traumland für Erneuerbare

Chile ist Vorbild für seine Nachbarn. Die GIZ unterstützt den Andenstaat bei seiner Energiewende.

Text
Karen Naundorf
Fotos
Hugo Muñoz

Geschickt klettert Mauricio Auretx über eine schmale Metallleiter auf das Dach des Gebäudes der Teletón-Stiftung in der chilenischen Hauptstadt Santiago. „Ist das nicht großartig?“, fragt der Fachmann für Infrastruktur und beantwortet seine Frage selbst: „Hier oben wird die Energie erzeugt, die wir unten für die Therapie brauchen.“ 

Lachen als Therapie – Kinder und Jugendliche im Rehazentrum der chilenischen Teletón-Stiftung in Santiago.
Lachen als Therapie – Kinder und Jugendliche im Rehazentrum der chilenischen Teletón-Stiftung in Santiago.

Während auf dem Dach Solarzellen Ener­gie produzieren, werden im Erdgeschoss Hunderte Kinder und Jugendliche mit Behinderungen betreut und gefördert, unter anderem durch Physiotherapie und Schwimmen. Auf dem Flur, der zur Kunst- und Tanztherapie führt, ist Musik von Lady Gaga und Shakira zu hören. Die Aufgabe heute: sich gegenseitig imitieren. Die Betreuerin bestimmt, wer vortanzen darf. Ein Siebenjähriger in Schlabberklamotten gibt den Hip-Hopper. Ein etwas älteres Mädchen biegt sich so sehr vor Lachen, dass es kaum vortanzen kann. Die anderen machen es ihr nach: Lachen als Teil der Therapie. 

Die Teletón-Stiftung ist die größte Einrichtung dieser Art in Chile und sie ist rein spendenfinanziert. Einige der Kinder, die hier in Behandlung sind, haben eine körperliche Behinderung. Andere sind in der Rehabilitationsphase nach einem Unfall. Hightechgeräte sind im Einsatz, etwa ein Bewegungsroboter: Er unterstützt die Schrittbewegungen der Patienten, das entlastet die Beine. Gurte halten die Patienten auf einem Laufband in Position. So können Bewegungsmuster wieder verinnerlicht werden. 

 „Jeder gewonnene Cent geht in die Therapie“

Das Gehtraining ist wichtiger Bestandteil der Rehabilitation – aber die Maschine ist ein Stromfresser. Deshalb freut sich Mauricio Auretx, Direktor für Infrastruktur bei Teletón, über die Einsparungen durch die Solaranlage: bis zu 7.000 Euro pro Jahr. „Jeder Cent, den wir nicht für Strom ausgeben, geht direkt in die Therapie. Und das Beste: Wenn wir am Wochenende geschlossen haben, speisen wir Energie ins Netz ein und verdienen damit sogar Geld.“

Die Solaranlage ist eine von mehr als 100, die in Chile auf Initiative der Regierung installiert wurden. Die Initiative wird im Auftrag des Bundesumweltministeriums von der GIZ unterstützt. „Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und auf öffentlichen Gebäuden Solarenergie produzieren“, erklärt Chiles Energieminister Andrés Rebolledo und zeigt nach oben: Auch auf dem Dach seines Minis­teriums sind Sonnenkollektoren installiert. 

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Das Energiekonzept der Regierung, 2015 vorgestellt, ist bereits jetzt von den guten Ergebnissen überholt worden. Die Planung: 2035 sollen 60 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen, 2050 sollen es 70 Prozent sein. „Das werden wir auf jeden Fall übertreffen“, sagt der Minis­ter und sieht zufrieden aus: „Wir liegen jetzt bereits bei mehr als 40 Prozent. Und was wir derzeit sehen, ist erst der Anfang.“

Viele staatliche Flächen haben großes Potenzial

Die Stromproduktion durch Photovoltaikanlagen hat sich innerhalb von drei Jahren von vier auf beeindruckende 1.400 Megawatt erhöht. Inzwischen erzeugen Windparks dreimal so viel Strom wie 2014. Diese neue Ausrichtung der chilenischen Energiepolitik unterstützt die GIZ auch durch Studien. Sie hat beispielsweise nachgewiesen, dass viele der staatlichen Flächen im Norden des Landes großes Potenzial für die Erzeugung erneuerbarer Energien bieten. Zudem leitete sie eine enge Kooperation zwischen den beiden chilenischen Ministerien für Energie und Liegenschaften ein. 

Auf der elektronischen Schalttafel des nationalen Energieverteilzentrums in Santiago sind alle wichtigen Stromleitungen zu sehen.
Auf der elektronischen Schalttafel des nationalen Energieverteilzentrums in Santiago sind alle wichtigen Stromleitungen zu sehen.

So wurden geeignete Flächen für Windparks reserviert. Anlagen mit einer Leistung von mehr als 200 Megawatt sind bereits installiert, weitere mit einer Leistung von 300 Megawatt werden gebaut. Der Energieminis­ter hofft auf einen wachsenden Anteil der Erneuerbaren, beispielsweise im Bergbau: „Wenn wir etwa das Kupfer und Lithium, die  auch in Elektroautos zum Einsatz kommen, unter Verwendung von erneuerbaren Ener­gien fördern, ist die Mobilität der Zukunft noch ein Stück umweltfreundlicher.“

Weltweite Bestwerte bei der Sonneneinstrahlung

Chile ist ein Traumland für Erzeuger von erneuerbaren Energien: weltweite Bestwerte bei der Sonneneinstrahlung im Norden des Landes,  optimale Voraussetzungen für Windenergie, große Wasserreserven in verschiedenen Landesteilen, dazu Geothermie in vulkanischen Gegenden. „Chile könnte seinen elektrischen Energiebedarf mindestens 100 Mal aus erneuerbaren Energiequellen decken“, sagt GIZ-Experte Rainer Schröer. „Bisher wird nur ein kleiner Teil dieses Potenzials genutzt, etwa 0,5 Prozent.“ 

GIZ-Experte Rainer Schröer
GIZ-Experte Rainer Schröer

Trotz der optimalen Bedingungen setzte das Land erneuerbare Energien lange nur zögernd ein. Gerade im eher konservativen Hauptwirtschaftssektor Bergbau gab es Widerstände. Erneuerbare Energien galten als unzuverlässig – fossile Quellen wurden deshalb bevorzugt. Sie stehen auch jetzt noch im direkten Wettbewerb miteinander. „Es gibt keinerlei Subventionen für erneuerbare Energien, nicht einmal Steuervorteile“, erklärt Rainer Schröer. 

Umso mehr freut sich der Ingenieur über die heutigen Zahlen: Solarenergie zu einem Preis von unter drei US-Cent pro Kilowattstunde – das ist ein Rekordwert weltweit. In Deutschland lag der Preis für die Produktion einer Kilowattstunde Solarstrom 2016 bei neun bis zehn Cent. In den vergangenen drei Jahren habe sich in Chile so viel getan, dass es nun für andere Länder in der Region ein Beispiel sein könne, betont Schröer: „Wenn Chile es schafft, einen hohen Anteil von erneuerbaren Energien in das Netz einzuspeisen, und das auch noch wirtschaftlich ist – warum soll das nicht auch in Argentinien oder Peru funktionieren?“

Chile steht zum Pariser Klimaschutzabkommen

Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen in Chile entstehen bisher allein durch die Energieproduktion, etwa in Kohle- und Gaskraftwerken, die den Stromsektor noch immer dominieren. Doch Chile hält an den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens fest: Ziel ist es, bis 2030 die CO2-Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. „Daran wird nicht gerüttelt“, versichert Energieminister Rebolledo. „Die alternativen Energien werden uns dabei helfen.“ 

Ziel ist es, bis 2030 die CO2-Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. Der Safthersteller Jucosol ließ die erste in Chile konzipierte Anlage für konzentrierte Solarenergie installieren.Energieminister Andrés Rebolledo Bildergalerie

Ein Gesetz zur Energieeffizienz gibt es in Chile bisher nicht. „Das ist eine der Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt“, gibt der Minister zu. Seine Behörde will auch in Zukunft mit der GIZ zusammenarbeiten: „Deutschland hat sehr interessante Erfahrungen im Bereich der erneuerbaren Energien.“ 

Alle Fäden laufen bei dem „Coordinador Eléctrico Nacional“, dem nationalen Energieverteiler, zusammen. Ohne dessen „Go“ geht nichts. Dort gab es vor einigen Jahren noch große Bedenken, erklärt der geschäftsführende Direktor Daniel Salazar: „Es schien nicht möglich, mehr als fünf Prozent erneuerbare Energien in das zentrale Verbundnetz einzuspeisen.“ Die Sorge der Mitarbeiter: Zu unstet seien Energiequellen wie Wind und Sonne. „Es gab viele Mythen“, berichtet Salazar. „Aber nun sind alle überzeugt: Es geht!“

Ohne Netzüberlastung, ohne Ausfälle

Der oberste Hüter der Energiekoordination steht neben einer dicken Glasscheibe, hinter der das Herz der chilenischen Energieversorgung schlägt: Eine elektronische Schalttafel, auf der schematisch alle wichtigen Stromleitungen zu sehen sind, bedeckt die gesamte Wand des Zimmers. Hier werden die Spannungsschwankungen im Netz ausgeglichen. „Viele unserer Mitarbeiter haben an internationalen Austauschprogrammen teilgenommen, auch mit Deutschland“, sagt Salazar. „Das hat uns sehr geholfen.“ Innerhalb von drei Jahren stieg der Anteil der Wind- und Solarenergie im Verbundnetz von fünf auf 17 Prozent – ohne das Netz zu überlasten und ohne Ausfälle zu verursachen.

„Wenn wir Emissionen vermeiden, schützen wir das Klima weltweit.“

Zur Energiewende in Chile können auch neue Technologien wie konzentrierte Solartechnik beitragen. Die Initiative geht in Chile oft vom Privatsektor aus: Der Safthersteller Jucosol ließ die erste in Chile konzipierte Anlage für konzentrierte Solarenergie installieren. Sie hat einen sehr hohen Wirkungsgrad, weil sie sich jeweils am Stand der Sonne orientiert. „Die Sonnenkollektoren sind kurvig geformt und ihre Neigung richtet sich nach dem Winkel der Sonneneinstrahlung“, erklärt Juan Pablo González von der Firma Ecer, die die Anlage installiert hat. 

Lebensmittelproduktion und Bergbau mit „grüner“ Energie  

In den besonders effizienten sogenannten Parabolrinnenkollektoren wird das Sonnenlicht konzentriert, so dass in den Röhren Temperaturen von knapp 100 Grad Celsius erreicht werden. Die thermale Energie, die dabei entsteht, wird für den Traubensaftverdampfer genutzt, also zur Herstellung von Fruchtsaftkonzentrat. 

Impulse für saubere Energie

Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien leistet Chile einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Die GIZ unterstützt im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit den Andenstaat bei seiner Energiewende: Allein der Anteil der Wind- und Solar­anlagen konnte seit 2014 von fünf auf 17 Prozent gesteigert werden. Expertise bei der Netz­integration, Ausbildungsprojekte, Ideen für die produktive Nutzung der Erneuerbaren sowie Studien sind Teil der erfolgreichen deutsch-chilenischen Zusammenarbeit. Auch der Ausbau von Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden geht voran: Innerhalb von drei Jahren wurden 100 errichtet.

Die GIZ will in Chile weiter innovative Energiekonzepte vorantreiben. Gleichzeitig fördert sie die Fort- und Weiterbildung von Fachkräften und besonders die produktive Nutzung der erneuerbaren Energien. „Es gibt so viele Anwendungsmöglichkeiten“, schwärmt  Rainer Schröer, „zum Beispiel in der Nahrungsmittelherstellung, etwa in solarbetriebenen Gewächshäusern. Oder in der Meerwasserentsalzung. Und für die Wasserstoffherstellung gibt es besonders im Bergbau ein großes Potenzial. Anstatt mit Diesel könnten die schweren Maschinen künftig mit Wasserstoff betrieben werden.“ Am Ende profitiere nicht nur Chile vom Ausbau der erneuerbaren Energien: „Wenn wir hier Emissionen vermeiden, schützen wir das Klima weltweit.“ 

Ansprechpartner: Rainer Schröer > rainer.schroeer@giz.de 

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