Agenda 2030 - Interview

„Wir überzeichnen das Negative“

Max Roser erforscht die Lebensumstände von Menschen weltweit. Er sieht einen klaren Aufwärtstrend – langfristig. 

Max Roser (Foto: Universität Oxford)
Max Roser (Foto: Universität Oxford)

Sie untersuchen, wie sich Lebensbedingungen auf der Welt verändern. Wo stehen wir derzeit, verbessern oder verschlechtern sie sich?
Das hängt vom betrachteten Zeitraum ab. In der unmittelbaren Gegenwart habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich die Dinge verschlechtern. Doch das sind Momentaufnahmen. Der langfristige Trend sieht anders aus, und diese Veränderungen dürfen wir nicht vergessen. Da geht die Kurve eindeutig nach oben. Nehmen Sie Themen wie Gesundheit, Armut, Gewalt, Ernährung – hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unglaublich viel verbessert. 

Gibt es noch weitere positive Trends?
Ja, und das gilt für viele, zum Teil ganz überraschende Themen. Die Zahl der Morde in Europa zum Beispiel hat sich über Jahrhunderte hinweg stetig vermindert. Während es heute in den meisten europäischen Ländern jährlich etwa einen Mord pro 100.000 Einwohner gibt, waren es in früheren Jahrhunderten etwa 30 bis 40. Wer also glaubt, die Vergangenheit war eine friedliche Idylle, liegt falsch.

"Der Klimawandel ist real und wir müssen darauf reagieren"

Woran liegt es, dass die Menschen heute das Gefühl haben, die Welt gerate aus den Fugen?
Das ist vor allem eine Wahrnehmungsfrage. Es gab wohl keinen Zeitpunkt in der Geschichte, an dem die Menschen nicht glaubten, die Welt gerate aus den Fugen. Wir schauen zu oft und zu schnell auf die negativen Aspekte und übersehen dabei die Fortschritte. Das heißt nicht, dass es keine realen Probleme gibt. Der Klimawandel zum Beispiel ist real und wir müssen darauf reagieren. Doch wir tendieren dazu, das Negative zu überzeichnen und zu denken, Hindernisse seien unüberwindbar. Da haben wir uns schon oft getäuscht – zum Glück!

Wie sieht es mit den gewalttätigen Konflikten auf der Welt aus – nehmen sie zu oder nicht? 
Auch hier ist der Zeitraum entscheidend: Sie haben in den vergangenen fünf Jahren zugenommen, befinden sich aber nicht auf dem Niveau des Kalten Krieges oder der Zeit davor. Die Zahl der fragilen Staaten steigt. Zugleich aber sind in vielen Gegenden Konflikte entschärft worden, etwa in Südostasien oder Lateinamerika. Diese positive Entwicklung blenden wir aus.

"Funktionierende Demokratie als wichtiger Faktor"

Was sind die wichtigsten Faktoren für bessere Lebensverhältnisse?
Ein ganz wichtiger ist Politik. Wir haben die Bedeutung von Politik eine Zeit lang unterschätzt und die Kräfte des Marktes, auch technologische Lösungen, überschätzt. Dabei sind die Rahmenbedingungen in einzelnen Ländern und im internationalen Gefüge entscheidend. Eine funktionierende Demokratie verbessert die Lebensver­hältnisse enorm. 

Welchen Einfluss hat Gewalt?
Gewalt ist zweifellos ein begrenzender Faktor, aber auch in Konfliktlagen leben Menschen weiter, entwickeln Dinge und versuchen ihr Leben zu verbessern. Selbst dann kann man Erfolge erzielen und damit die Lage stabilisieren helfen. Dazu gibt es überraschende Forschungsergebnisse: Sie zeigen, wie erfindungsreich die Menschen werden, um durch Krisen zu kommen. Und irgendwann gibt es immer ein Ende der Gewalt, deshalb sollten wir nicht den Fehler machen aufzugeben.

Sie denken in längeren Zeiträumen. Die Agenda 2030 aber ist auf 15 Jahre ausgerichtet. Werden wir bis dahin Verbesserungen sehen können?
Ja, ich glaube schon. Das hat mit folgen­dem Effekt zu tun: Länder, die eine Entwicklung als Erste durchlaufen, brauchen dafür oft sehr lange. Zum Beispiel bei der Geburtenzahl pro Frau: Groß­britannien hat 95 Jahre benötigt, um die Zahl von sechs auf unter drei zu senken. Südkorea hat es in 18 Jahren geschafft und der Iran in zehn. Das ist positiv, denn nur bei gebremstem Bevölkerungswachstum kann ressourcenschonendes Wirtschaftswachstum gelingen. Auch in anderen Bereichen gehen Entwicklungen schneller voran, wenn Pioniere Vorarbeit geleistet haben: beim Einsatz erneuerbarer Energien zum Beispiel. Eine Lösung zum ersten Mal zu finden, ist immer am schwierigsten. Deshalb lässt sich in den nächsten 13 Jahren einiges vorantreiben, obwohl die Ziele in Gänze wohl nicht zu erreichen sind.  

Interview: Friederike Bauer

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