DR Kongo

Gesunde Zukunft

Im Osten Kongos wird das Gesundheitssystem wiederbelebt. Wie Rezepte dafür aussehen können, zeigt die arme Provinz Süd-Kivu. Besuche in einer Klinik und einem medizinischen Zentrum voller Mütter und Babys.

Text
Bettina Rühl
Fotos
Rudy Kimvuidi Nkombo

Die drei Monate alte Chishesa Zihindula lutscht zufrieden an ihren Fingern, ungerührt von dem Trubel um sie herum. Ihre Mutter Ester Zawadi Mwachigabo ist mit ihrer jüngsten Tochter schon früh am Morgen ins Gesundheitszentrum der ostkongolesischen Gemeinde Kasihe aufgebrochen.

Gut versorgt: Alice Bulambo Kulilwa, leitende Krankenschwester in der Geburtsstation der Klinik von Nyangezi, hält neugeborene Zwillinge in den Armen.

Chishesa soll gegen Tuberkulose und Diphtherie geimpft werden. „Mir ist wichtig, dass meine Tochter gut gegen Krankheiten geschützt ist“, sagt Zawadi, „und die Impfung ist hier sogar kostenlos. Da ist es doch klar, dass wir kommen.“ Nicht nur Zawadi denkt so. Wegen der Impfkampagne sind an diesem Morgen fast 90 Frauen mit ihren Säuglingen in das neue Gesundheitszentrum von Kasihe gekommen. Auf den großen Andrang ist Kandanda Namuho fast ein bisschen stolz. „Offenbar erreichen wir die Bevölkerung mit unseren Aufklärungskampagnen, und die Menschen vertrauen uns“, sagt der leitende Krankenpfleger des Gesundheitszentrums.

In der Demokratischen Republik Kongo ist das keine Selbstverständlichkeit: In manchen Regionen im Osten des Landes lässt sich nicht einmal ein Viertel der Bevölkerung in Gesundheitszentren oder Krankenhäusern behandeln. Denn nach Jahren, in denen die Zentralregierung in Kinshasa das Gesundheitssystem vernachlässigt hat, ist die medizinische Versorgung schlecht. Gleichzeitig haben viele Menschen nicht das Geld, selbst ein mangelhaftes medizinisches Angebot zu bezahlen. Zudem ist das Personal oft wenig motiviert, weil die Regierung faktisch nur zehn Prozent der Angestellten bezahlt. Die übrigen sind auf die spärlichen und nicht verlässlichen Einnahmen der Einrichtungen angewiesen.

Impftag im neuen Gesundheitszentrum von Kasihe: Fast 90 Mütter sind mit ihren Säuglingen gekommen, um die Kinder vor Tuberkulose und Diphtherie zu schützen.

Damit Menschen in der kongolesischen Provinz Süd-Kivu bessere medizinische Hilfe bekommen, arbeitet die GIZ im Auftrag der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in acht Gesundheitszonen der Region. Das Programm zur Unterstützung des Gesundheits­systems in Süd-Kivu kooperiert eng mit dem Gesundheitsministerium der Provinz, dessen Gesundheitsabteilung und Behörden. Dadurch erhalten 1,5 Millionen Menschen einen besseren Zugang zu dezentralen und soliden Gesundheitsdienstleistungen.

„Wir erreichen die Menschen, sie vertrauen uns.“

Kandanda Namuho, Pflegeleiter im Medizinzentrum von Kasihe

Der zuständige Minister der Provinz, Vincent Cibanvunya Murhega, bewertet die Unterstützung positiv, denn die Situation muss sich dringend verändern. „Die Kinder- und die Müttersterblichkeit in Süd-Kivu sind die höchsten in der ganzen Demokratischen Republik Kongo“, betont er. Von 1.000 Neugeborenen sterben in Süd-Kivu 139 – in Deutschland sind es drei. In Süd-Kivu sind mit gut 40 Prozent außerdem mehr Menschen unterernährt als im gesamten Rest des Landes. Dabei ist die Situation der Bevölkerung auch landesweit kritisch. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen liegt der Kongo auf Platz 176 von 189. Und das, obwohl das Land theoretisch reich sein könnte, da es über Rohstoffe wie etwa das in der Computerindustrie begehrte Erz Coltan und fruchtbare Böden verfügt.

Früher wurde in einer Lehmhütte behandelt

Zu den Gründen für den besonders schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung in Süd-Kivu gehören auch die Konflikte in der rohstoffreichen Provinz, die seit fast 25 Jahren andauern. Dutzende Milizen kämpfen gegeneinander um die Kontrolle über die wertvollen Bodenschätze. Seit Jahren sind Hunderttausende Menschen immer wieder auf der Flucht, können ihre Felder nicht bestellen und sich selbst kaum versorgen. Fast 85 Prozent der Menschen gelten als arm, das heißt, sie müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag überleben. Geld für Behandlungen ist daher knapp. Und die ohnehin geringen Einnahmen in den medizinischen Einrichtungen werden zudem durch schlechtes Management auch noch unzureichend genutzt. Nun soll das Gesundheitssystem effizienter werden. „Wir wollen erreichen, dass jeder in der Provinz Zugang hat zu medizinischer Behandlung“, betont Gesundheitsminister Cibanvunya.

DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO

 

Hauptstadt: Kinshasa / Einwohner: rund 81 Millionen / Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 458 US-Dollar / Wirtschaftswachstum: 3,4 Prozent / Rang im Human Development Index: 176 (von 189)

Das Gesundheitsprogramm im Auftrag der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit bringt die medizinische Versorgung in Süd-Kivu voran. Kooperiert wird mit zwölf lokalen Organisationen.

www.giz.de
Kontakt: Antonio Lozito, antonio.lozito@giz.de

In Kasihe hat sich die Situation seit dem Beginn des Programms schon deutlich verbessert. Kandanda Namuho führt gerne durch „sein“ Gesundheitszentrum. Es wurde neu errichtet und ausgestattet, seit Januar 2018 ist es in Betrieb. Inzwischen werden dort jeden Monat 16 bis 20 Kinder geboren und durchschnittlich 180 Patientinnen und Patienten behandelt. „In dem alten Gesundheitszentrum wären diese Zahlen undenkbar gewesen“, sagt Kandanda Namuho. Er geht die kurze Strecke zum alten Gebäude voraus. Vor einem kleinen Lehmhaus, dessen Dach schon eingefallen und mit einer blauen Plane gedeckt ist, bleibt er stehen. Das also war bis vor wenigen Monaten die medizinische Einrichtung der Region, war Kreißsaal, Behandlungsraum und Besprechungszimmer.

Weil viele Gesundheitszentren und Krankenhäuser ähnlich baufällig oder viel zu klein sind, gehört die Verbesserung der medizinischen Infrastruktur zu der Gesundheitsinitiative. Insgesamt wurden in Süd-Kuvu sechs dieser lokalen Einrichtungen instand gesetzt oder neu gebaut. Zusammengearbeitet wird mit insgesamt 123 Gesundheitszentren und acht Krankenhäusern.

Links oben: Ein Baby wird in der Neugeborenenstation des Krankenhauses der Stadt Nyangezi versorgt. Unten: Strahlende Mutter mit Zwillingen. Rechts: Pfleger Kandanda Namuho vor der alten Lehmhütte, in der früher die Menschen rund um die Gemeinde Kasihe notdürftig behandelt wurden.

Seit Kandanda Namuho seine Patientinnen und Patienten in einem hellen und stabilen Gebäude behandeln kann, geht er auch lieber zur Arbeit. Außerdem erhält er inzwischen leistungsbasierte Prämien. Dadurch hat er deutlich mehr Geld zum Leben als vorher. Nämlich rund 15 US-Dollar im Monat an Boni, zusätzlich zu den durchschnittlich 25 US-Dollar aus den Einnahmen des Zentrums. Von der Zentralregierung bekommen er und seine Kollegen nichts. „Wegen der ständigen Geldsorgen waren wir früher oft mit den Gedanken nicht bei der Arbeit“, erklärt der 32-jährige Familienvater.

Die Finanzen sind für alle ein großes Thema. Das Geld für die Medikamente und die Behandlungen einzutreiben, stellt viele Einrichtungen vor riesige Probleme. Auch das Gesundheitszentrum von Kasihe. Nur ein Drittel seiner Patientinnen und Patienten zahlt komplett und unmittelbar nach der Behandlung, sagt Namuho. Die übrigen 70 Prozent zahlen verspätet, nur teilweise oder gar nicht. In der Gegend von Kasihe haben drei bis vier Prozent der Patient*innen eine Krankenversicherung. Das ist immerhin noch etwas mehr als im Durchschnitt der gesamten Provinz. Da sind es nur zwei Prozent. „Viele Menschen haben nach schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit kein Vertrauen mehr in die Versicherungen“, erklärt Antonio Lozito, der Leiter des Gesundheitsprogramms. Das Programm unterstützt die bestehenden Versicherungsanbieter deshalb bei der Verbesserung von Management und Effizienz. Eingeführt wird auch ein Tarifsystem, das medizinische Leistungen bezahlbar macht und für stabile Preise sorgt. Dazu soll auch der Einsatz von kontrolliert hergestellten Generika beitragen.

Ester Zawadi Mwachigabo, die mit der kleinen Chishesa auf die Impfung wartet, muss vom Sinn einer Krankenversicherung nicht mehr überzeugt werden. Sie ist mitsamt ihren inzwischen neun Kindern schon seit 2016 versichert. „Es fällt uns nicht leicht, die 55 US-Dollar zu verdienen, die wir im Jahr dafür bezahlen müssen“, sagt die Bäuerin. „Aber es lohnt sich.“ So musste eins ihrer Kinder im vergangenen Jahr operiert werden, von den 150 US-Dollar Behandlungskosten übernahm ihre Versicherung die Hälfte. Und die Kosten ihrer letzten beiden, jeweils sehr komplizierten Entbindungen wurden überwiegend von ihrer Versicherung bezahlt. „Ich habe jetzt weniger Angst vor der Zukunft“, sagt Zawadi. Denn eine Krankheit bedeutet nicht mehr zwangsläufig den finanziellen Ruin ihrer Familie.

 

 

 

 

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