Global Diplomacy Lab

Diplomatie neu denken

In Montreal kamen kreative Köpfe aus aller Welt zusammen. Ihr Ziel: die Zukunft der globalen Kommunikation mitzugestalten.

Text
Manuela Imre
Fotos
Adrienne Surprenant

Paula Suárez-Buitrón schaut etwas besorgt. „Das wird sicher sehr emotional.“ Schließlich zieht sie die überdimensionale Virtual-Reality-Brille doch über den Kopf, rückt sie zurecht und atmet tief durch. Der interaktive Film, der nun knapp vier Minuten lang vor ihren Augen flimmert, beschreibt die Situation von Menschen in Flüchtlingslagern auf der ganzen Welt, dreidimensional, zum Greifen nah. Ab und zu bewegt die 40-jährige Volkswirtin die Hände, schüttelt den Kopf oder nickt – und lächelt, als sie die Brille abnimmt. „Sehr eindringlich“, sagt die gebürtige Ecuadorianerin, die heute in Washington lebt.

Intensive Gespräche: Paula Suárez-Buitrón stellt kritische Nachfragen.
Intensive Gespräche: Paula Suárez-Buitrón stellt kritische Nachfragen.

Genau solche Erfahrungen mit neuen Technologien hat sich Suárez-Buitrón erhofft vom fünften Global Diplomacy Lab, das im November 2016 im kanadischen Montreal stattfand. Das Lab ist eine Plattform, die regelmäßig an verschiedenen Orten Diplomaten, Politiker, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Unternehmer und Kreative zusammenbringt. Gemeinsam denken sie über eine neue Art der Diplomatie nach. An der 2014 gestarteten Initiative des Auswärtigen Amts beteiligen sich auch die BMW Stiftung Herbert Quandt, die Robert Bosch Stiftung, die Stiftung Mercator sowie die GIZ.

Von Afghanistan bis Uganda: internationale Teilnehmer 

Das Thema von Montreal lautet „Entschlüsselung globaler Diplomatie: Mächtegleichgewicht durch Informationstechnik“. Suárez-Buitrón interessiert sich dafür gleich in mehrfacher Hinsicht: „Ich suche nach Wegen, mit moderner Technologie Probleme und Krisen anzugehen – oder sie greifbarer zu machen.“ Fragen, die sie sich stellt, lauten etwa: „Kann Technologie uns helfen, die Welt besser zu verstehen? Und wo liegen die Grenzen?“ 

Es ist Tag zwei des Treffens, um Suárez-Buitrón herum brummt es wie in einem Bienenstock. Die 35 Teilnehmer aus fast genauso vielen Ländern weltweit – von Afghanistan bis Uganda – stehen in kleinen Gruppen beieinander. Sie befinden sich im Foyer der Société des Arts Technologiques – einer Organisation, die sich der Entwicklung von neuen Technologien wie virtueller Realität verschrieben hat. Der hohe Raum aus grauem Beton wird durch bunte Lichtinstallationen und mächtige Fenster in ein warmes Licht getaucht. Aus den Lautsprechern tönt dezente Lounge-Musik. 

Prominente Experten und lebhafte Diskussionen 

Heute geht es unter anderem um „Digitale Diplomatie als neues Werkzeug“ und „Scheidewege der digitalen Ökonomie“. Suárez-Buitrón blickt in die Runde: „Expertin bin ich in keinem dieser Bereiche.“ Die Volkswirtin bringt dafür aber andere Kompetenzen mit: Bis 2009 war sie Unterstaatssekretärin des Wirtschaftsministers von Ecuador, den sie in Finanz-, Umwelt- und Energiefragen unterstützte. Heute arbeitet sie als Programmdirektorin im Büro des Weltbankpräsidenten. Ihr Team entwickelt Strategien, um die Ziele der Weltbank schnell und effektiv umzusetzen. Auch in Frankreich und Deutschland hat die Mutter zweier Töchter schon gelebt.

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Suárez-Buitrón ist als Mitglied im Netzwerk der Global Leadership Academy der GIZ nach Montreal gekommen. Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte Plattform bringt Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Sie tauschen sich über innovative Arbeitsweisen und ihre Erfahrungen als Entscheidungsträger aus. „Von dem daraus entstandenen Netzwerk zehre ich immer wieder“, sagt Suárez-Buitrón. Zum Beispiel, wenn sie bei ihrer Arbeit tief in einem Thema steckt und einen frischen Blick von außen braucht, um den entscheidenden Schritt voranzukommen.  

Die Rolle sozialer Medien in Zeiten des Wahlkampfs

In Montreal trifft sie auf eine ähnlich vielseitige Gruppe von Experten und freut sich auf die Erweiterung ihres Netzwerks. Eine Viertelstunde später bekommt sie bei einer Podiumsdiskussion gleich die erste Gelegenheit dazu. An die Fachleute aus Politik, Diplomatie und Technologie auf der Bühne hat sie viele Fragen. Wie kann man den Missbrauch von sozialen Medien wie Twitter in Wahlkämpfen verhindern? Wie stellt man sicher, dass jeder die gleichen Zugriffsmöglichkeiten auf das Internet hat? Eine lebhafte Diskussion beginnt. 

„Zugang zum Internet als Menschenrecht wird schon lange von den Vereinten Nationen und Ländern wie den USA gefordert“, sagt eine Teilnehmerin. Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks, stimmt zu. „Die Frage ist aber, wie eine Infrastruktur angelegt werden kann, die jedem diesen kostenlosen Zugang ermöglicht. Viele Länder und Regierungen wollen die Regulierung nicht aus der Hand geben.“ Domscheit-Berg, Informatiker und Aktivist für Informationsfreiheit und Transparenz, ist einer der Redner der Konferenz in Kanada.

Im Labor: Der gewölbte  Raum „Satosphère“ ermöglicht mit einer Rundumprojektion das völlige  Eintauchen in Filme und Spiele.Auf Augenhöhe: der Internet-Aktivist Daniel Domscheit-Berg (Mitte hinten) im Gespräch mit Teilnehmern des Global Diplomacy Labs.Zwei Teilnehmerinnen bereiten einen Workshop vor.  Bildergalerie: Global Diplomacy Lab in Montreal

Die Auswahl ist wohlbedacht. Senta Höfer vom Auswärtigen Amt, die die Konferenz mitorganisiert hat, möchte mit dem Treffen vor allem eines erreichen: dass die Teilnehmer „querdenken“. Damit das gelingt, so Höfer, dürften aber „nicht nur Entscheidungsträger“ am Tisch sitzen. „Man muss kreative Köpfe aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenbringen.“ 

Dazu trägt auch die Global Leadership Academy der GIZ bei, der jüngste von fünf Partnern des Global Diplomacy Labs. Die Zusammenarbeit ist ein Gewinn für beide Seiten, erklärt Wiebke Koenig, Leiterin der Akademie. „Wir bringen unsere Netzwerke ein und bekommen im Gegenzug frische Impulse. Und wir probieren gemeinsam unterschiedliche Formate aus.“ 

Eintauchen in neue Technologien 

So wie am dritten Tag im „Situation Room“: Gesucht wird eine Strategie, um eine digitale diplomatische Botschaft aufzubauen. An runden Tischen wird konzipiert, beraten und ausgefeilt. Und das Wichtigste: Das Ergebnis verschwindet nicht in der Schublade, sondern geht als fertiges Konzept an das kanadische Außenministerium. 

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„Digitale Pause“ zwischen zwei Veranstaltungen: Paula Suárez-Buitrón liegt auf einem grauen Sitzkissen und verfolgt gebannt einen futuristischen Kurzfilm. Sie befindet sich in der „Satosphère“, einem Raum mit einer meterhohen, gewölbten 360-Grad-Filmleinwand. Die Leinwand zieht die Betrachter geradezu in die Bilder hinein und ermöglicht so das Eintauchen in Filme oder Spiele.

Neue Möglichkeiten für künstliche Intelligenz

Man fühlt sich, als wäre man mitten im Geschehen. Diese Technik könnte auch zur  Kommunikation mit Krisengebieten genutzt werden“, sagt Suárez-Buitrón zu ihrem Nachbarn János Kóka. Der gibt zu bedenken: „Nur weil eine Technologie in der Unterhaltungsindustrie funktioniert, heißt das noch nicht, dass sie genau so auch im politischen Bereich eingesetzt werden kann.“ Zwischen den beiden entspinnt sich eine Diskussion über mögliche Einsätze der neuen Technologie in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern.

Der frühere ungarische Wirtschafts- und Transportminister Kóka ist seit 2011 Präsident und Geschäftsführer der Cellum Global Corporation, einer internationalen Gruppe von Technologieunternehmen. „Tech-Unternehmen müssen verstehen, dass man mit den Errungenschaften von künstlicher Intelligenz und Robotern auch komplett anders strukturierte Ebenen wie die Diplomatie bereichern kann“, so der 44 Jahre alte Unternehmer. „Die Satosphère ist nur ein Beispiel. Wir müssen diese Werkzeuge anwenden.“

Eine App gegen den Wassermangel in Indien 

Kóka ist noch immer beeindruckt von der Idee, die eine indische Teilnehmerin in Montreal präsentiert hat: eine Wasser-Marktplatz-App, um das große Problem der Dürre in Indien zu bekämpfen. „Wenn man die Zulieferer direkt mit den Verbrauchern verbindet, könnte man auf viele Mittelsmänner verzichten“, so Kóka. „Sie verzögern oft durch Korruption die Abläufe. Der Trinkwasserpreis könnte um 90 Prozent sinken.“

Tag vier: Noch vor dem Frühstück hat Paula Suárez-Buitrón ihrem Kollegen bei der Weltbank in Washington eine lange Liste mit Projektideen geschickt.

Ansprechpartner: Wiebke Koenig > wiebke.koenig@giz.de

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